Volker Lange, Tim Stinauer, Mittendrin: Ein Kölner Polizist erzählt. Rezensiert von Thomas Feltes

Volker Lange, Tim Stinauer, Mittendrin: Ein Kölner Polizist erzählt, 208 Seiten, Königswinter (Lempertz) 2021, ISBN 978-3-96058-402-5, 12,99 Euro

An polizeilichen Erzählungen mangelt es in jüngster Zeit nicht. Sie reichen (in Buchform) von gewaltgeneigten Polizisten, die abends Hooligan sind[1], über Beschreibungen der dunklen Seite des Polizeialltags[2] und Geschichten von Polizisten, die „nicht weinen[3] bis hin zum Kampf „für eine bessere Polizei[4]. Das Buch, das hier vorgestellt wird, ist anders.

In „Mittendrin“ lässt Tim Stinauer, Redakteur und langjähriger Polizeireporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Volker Lange von 19 Einsätzen berichten, die ihm in Erinnerung geblieben sind – weil sie besonders spektakulär waren oder brisant, rührend, komisch, abseitig oder traurig. Klar und offen spricht Volker Lange über die Gefühle eines Polizisten, über die Last der Verantwortung im Job, über Schuld, Angst und Fehlentscheidungen. Und darüber, wie es sich damit lebt, für den Tod eines Menschen mitverantwortlich zu sein.

Volker Lange war 40 Jahre (von 1981 bis 2021) Polizist in Köln und leitete zuletzt die Inspektion Köln-West in Ehrenfeld. Zuvor war er Streifenbeamter, Motorradpolizist, Zivilfahnder, Leiter bei der Bereitschaftspolizei und Kommandoführer eines SEKs. Seine Besonderheit: Die Leitung der Einsätze im Stadion bei Spielen des 1. FC Köln, wo ich Volker Lange auch zweimal persönlich kennenlernen und seine besondere Einsatzphilosophie erleben durfte. Diese Begegnungen waren so eindrucksvoll, dass ich ihn und seine Art und Weise der Einsatzführung damals häufiger bei Veranstaltungen als (positives) Beispiel für gelungene Polizeiarbeit im Bereich des Profifußballs zitiert habe. Sein Slogan „Sicherheit durch Service“ hatte er bereits frühzeitig (2014?) selbst in einem Beitrag für die Zeitschrift „Polizei Dein Partner“ formuliert und dabei auch ein Foto mit einem Spruchband von Fans (von ihm?) veröffentlicht (s. Abb.).

Volker Lange beschreibt auch das „besondere Verhältnis„, das die PolizistInnen in Köln zu „ihrem“ Dom hätten. Er erinnert in dem Buch an zwei Kollegen, die sahen, wie ein Mann nachts gegen die Kathedrale pinkelte. „Einer der beiden Beamten war im Dom Messdiener und hat dort geheiratet. Er sprach den Typen an. Der drehte sich nur kurz um und pinkelte seelenruhig weiter„. Der Kollege habe den Mann aufgeklärt, „dass es das Allerletzte sei, gegen ein Kirchengebäude zu urinieren. Insbesondere gegen den Kölner Dom. Der Wildpinkler fragte: „Ja, und jetzt? Soll ich das wegmachen oder was? “ Der Polizist nickte, antwortetet:“ Gute Idee.“ Der Mann zog seinen Pullover aus „und wischte die Sauerei weg“, sagt Lange. Wenn es um den Dom geht, ist halt nicht mit allen Kollegen gut Kirschen essen.“

Eindrucksvoll sind die Geschichten, die Lange selbst erlebt und mitgestaltet hat. So z.B. die Geiselnahme eines Linienbusses (beschrieben im Kapitel „Sieben Stunden Nervenkrieg. Der Rabe Abraxas und die Last der Verantwortung“, S. 82 ff). Hier beschreibt er einen SEK-Einsatz gegen einen psychisch gestörten Geiselnehmer, der in einem Bus Menschen an- und erschießt und sich zuletzt selbst erschießt, und die Entscheidungen, die er dabei als SEK-Leiter zu treffen hatte – und die Folgen dieser Entscheidungen auch und besonders für ihn selbst.

Es bleibt natürlich nicht aus, dass auch Stellen in dem Buch enthalten sind, die der Wissenschaftler eher kritisch sieht – so z.B. „Hausbesuch bei bösen Buben“ (S. 129 ff.), wo es um Einsätze gegen Hells Angels geht.  Die Verallgemeinerungen dort trotz kundgetanen besseren Wissens („nur 1% benehmen sich daneben“, S. 130) passen so gar nicht zu dem ansonsten kritischen und reflektierende Duktus des Buches (und des Polizisten Lange, der selbst Motorradfahrer ist und zum Abschied von den Kripo-Kollegen der Polizeiinspektion Mitte ein Bild (Karikatur?) geschenkt bekam: „Ihrem Seargent (sic!) at Arms wünschen die Höllen Angels alles Gute im Charter Ehrenfeld“ (s. Abb.). Der „Sergeant at arms“ ist übrigens (auch bei den Hells Angels nicht) kein bewaffneter Beamter, sondern im englischsprachigen Raum der Titel eines Beamten, der sich im Auftrag einer gesetzgebenden Versammlung oder eines Parlaments um die Aufrechterhaltung von Gesetzlichkeit, Ordnung und Sicherheit am Versammlungsort kümmert[5].

So ganz anders (und mit teilweise überaus präzisen, analysierenden Beobachtungen) lesen sich die Kapitel über Einsätze beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs (S. 103 ff.), beim Gladbecker Geiseldrama (S. 57 ff.), oder bei der Fußball-WM 2006 (S. 141 ff.) und in „seinem“ Heimstadion (S. 157 ff.).

Das Kapitel über das Gladbecker Geiseldrama (Untertitel „Journalisten außer Rand und Band“) gibt einen exzellenten Einblick in den Druck, den die Medien allgemein und Journalisten in Person auf PolizeibeamtInnen ausüben können – aber auch, wie man sich als PolizistIn mit dem Mut eines Volker Lange dagegen wehren kann. Nicht viele dürften solchen Mut besitzen, der auch an anderen Stellen deutlich wird: Volker Lange ist immer den Weg gegangen, den er selbst für richtig hielt – nicht immer war das der offiziell oder (eher selten) rechtsstaatlich richtige, aber (fast) immer ein erfolgreicher – auch wenn dies seine (politischen) Vorgesetzten manchmal anders sahen und versuchten, ihn in der in diesem System üblichen Art und Weise auszubremsen. Sicherlich wird es auch „dunkle“ Einsätze gegeben haben, über die Lange nicht berichtet, aber es ist sein gutes Recht, Schattenseiten im Dunkelfeld zu belassen.

Kleinere Probleme löste der Einsatzleiter (Lange, TF) selbst vor Ort“ – so kommentierte es ein TV-Beitrag zu einem Einsatz beim Kölner Karneval, bei dem Lange einem „Jecken“, der ein Polizeidiensthemd mit Landeswappen trug, kurzerhand das Wappen herausschnitt. Das Hemd durfte der Betroffene dann anbehalten. Aber auch bei wichtigeren Einsätzen zeigte sich immer wieder nicht nur die Kreativität von Volker Lange, sondern sein analytisches Denken: Was ist die Ursache für ein Problem (z.B. für die „Wildpinkler“ bei Fußballspielen des FC) und was kann die wirkliche Lösung sein (außer dem oftmals dysfunktionalen Einschreiten von PolizeibeamtInnen)? Hier war es das Aufstellen von Dixi-Klos bzw. Urinalen – wobei die Frage, wer diese bezahlt, dann kreativ gelöst wurde (S. 156).

Langes Ziel, als Polizist neutral und gerecht gegenüber jedermann aufzutreten, zieht sich durch das Buch. Er sieht aber auch, dass dieses Motto nicht überall in der Polizei gilt, und dass Vorgesetzte bei der Umsetzung dieses Mottos eine besondere Rolle spielen. Vieles läuft, so Lange (S. 122 ff.) „an mir vorbei, wenn ich als Führungskraft unnahbar bin, wenn ich mich hinter meinem Sakko und meiner Krawatte mit Windsor-Knoten verstecke, nur in meinem stillen Kämmerlein hocke, Hochglanzprospekte schreibe und Strategiepapiere entwickele, um in Besprechungen zu glänzen“. Und er weist in diesem Kontext auch auf die Führungsverantwortung von Vorgesetzten hin: „Im Zweifel muss ich als Vorgesetzter die Notbremse ziehen. Ich darf nicht warten, bis erst etwas passiert, bis Kolleginnen und Kollegen schwere Fehler begehen. Notfalls muss ich sie rechtzeitig rausnehmen, sie oder ihn mit anderen Aufgaben in einem anderen Arbeitsumfeld betrauen…“ (S 123).

Eine „interaktive Kölnkarte“ zeigt übrigens die Gebiete an, in denen sich die einzelnen Kapitel des Buches abspielen und gibt einen kurzen Überblock über den Kapitelinhalt. Auf dieser Website finden sich auch einige Podcasts zu dem Buch.

Insgesamt ein lesenswertes, bisweilen amüsantes, immer kurzweiliges, aber reflektiertes Buch über Kölner Polizeialltag a la Volker Lange.

Thomas Feltes, August 2023

[1] Schubert, Stefan, Gewalt ist eine Lösung, München 2010

[2] Ders., Inside Polizei. Die unbekannte Seite des Polizeialltags, München 2012

[3] Dobretsberger, Christine (HerausgeberIn), Polizisten weinen nicht: der Mensch hinter der Uniform. Wien, Graz, Klagenfurt 2010. Zum Thema „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ als politische Leitlinie im Polizeibereich habe ich mich an anderer Stelle selbst geäußert, Feltes/Punch, Good People, Dirty Work? Wie die Polizei die Wissenschaft und Wissenschaftler die Polizei erleben und wie sich Polizeiwissenschaft entwickelt. In: MSchrKrim 1/2005 S. 26-45, verfügbar hier

[4] von Dobrowolski, Oliver, „Ich kämpfe für eine bessere Polizei“, Frankfurt 2022, besprochen hier

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Sergeant-at-Arms