Stefan Goertz, Extremismus und Sicherheitspolitik. Rezensiert von Armin Pfahl-Traughber

Stefan Goertz, Extremismus und Sicherheitspolitik. Studienkurs für die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden, Wiesbaden 2022 Kommunal-u. Schul-Verlag. ISBN 978-3-8293-1694-1, 323 S., 40.- Euro.

Es gibt Bücher, die in Titel und Untertitel etwas versprechen, was in Form und Inhalt nicht eingelöst wird. Ein Beispiel dafür ist „Extremismus und Sicherheitspolitik. Studienkurs für die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden“. Das Buch soll außerdem ein „Studienkurs für die … Verfassungsschutzbehörden“ sein. In dieser Abteilung wird es von den Dozenten aber weder genutzt noch geschätzt. Das Buch ist auch ohne konkrete Kenntnis der dortigen Studieninhalte geschrieben.

Über den Autor heißt es auf dem Klappentext: „Prof. Dr. Stefan Goertz lehrt an der Hochschule des Bundes, am Fachbereich Bundespolizei, in Lübeck“. Nach dem Inhaltsverzeichnis findet man darin Kapitel über Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, „Querdenker“, Islamismus und islamistischen Terrorismus, Linksextremismus und „Ausländerextremismus“. Ein Kapitel über Sicherheitspolitik, immerhin das zweite Substantiv im Titel, ist darin nicht enthalten. Dafür gibt es noch Kapitel über Cybercrime, Organisierte Kriminalität und Clankriminalität, was wiederum nichts direkt mit Extremismus zu tun hat.

Beginnt man dann zufällig ausgewählt die Lektüre in irgendeinem der genannten Extremismuskapitel, dann erstaunt die Darstellungsweise. Denn es handelt sich, um die Ausdrucksweise des schulischen Deutschunterrichts zu nutzen, um bloße Nacherzählungen. Dabei werden Berichte der Sicherheitsbehörden mit eigenen Worten vorgetragen. Die entsprechenden Absätze enthalten Formulierungen wie „An ihrer Gründung war nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz …“, „Die deutschen Verfassungsschutzbehörden analysieren …“, „Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt fest …“, „Die deutschen Verfassungsschutzbehörden stellen fest …“ oder „Das Bundesamt für Verfassungsschutz stellt fest …“ (S. 157f.) Diese fünf Satzanfänge finden sich auf nur eineinhalb Seiten, wobei es um die islamistische Milli Görüs-Bewegung geht. Immer wieder verweist der Autor zwar auf eigene frühere Publikationen. Indessen sind diese Beiträge ebenso aufgebaut und referierten lediglich die Berichte von Sicherheitsbehörden. So besteht das Buch primär aus Nacherzählungen, immerhin mit Quellenangaben versehen.

An eigenständigen Betrachtungen und Einschätzungen mangelt es, die Ebene der Erörterungen wird nicht erreicht. Durchgängig findet auch keine Auswertung von Primärquellen statt, allenfalls folgen aus „zweiter Hand“ kurze Zitate. Abweichungen davon gibt es nur bei den Erläuterungen zum Gemeinten, etwa bei den Definitionen der zentralen Termini. Aber auch hier erfolgt keine eigene Begriffsbestimmung, findet man doch lediglich hintereinander aufgelistete einzelne Merkmale. Als Beispiel sei auf die elf „Analysemerkmale von Islamismus“ (S. 45) verwiesen. Dabei werden jeweils Eigenschaften genannt, die auch in den dann folgenden Merkmalen enthalten sind. So heißt es etwa: „Islamismus geht von der Existenz einer gottgewollten … Ordnung aus, die über von Menschen gemachten Ordnungen steht …“ Und direkt danach kann man lesen: „Für den Islamismus ist Religion … nicht nur eine private ‚Angelegenheit‘, sondern soll … die politische Ordnung regeln“ (S. 45). Als aufmerksamer Leser fragt man sich: Worin besteht eigentlich zwischen der erst- und zweitgenannten Angabe der grundlegende und konkrete Unterschied?

So hat man es nur mit einer Ansammlung von Merkmalen zu tun, welche nicht in eine entwickelte Definition und systematische Struktur integriert wurden. Manchmal lassen sich die Aussagen gar nicht verallgemeinern, wofür folgender Satz steht: „Islamismus zielt auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGo) und der Bundesrepublik Deutschland ab“ (S. 45). Folgt man dieser Begriffsbestimmung, dann wäre etwa die Hamas nicht islamistisch. Denn ihr geht es nicht um die Abschaffung der Bundesrepublik, sondern um einen „Gottesstaat“ in Palästina – und die Vernichtung des Staates Israel. Derartige Defizite durchziehen auch die abschließenden Kapitelteile, die mit „Kurzzusammenfassung/Prüfungsvorbereitung“ überschrieben wurden. Beim Abweichen vom bloßen Nacherzählen entstanden immer wieder inhaltliche Schiefen im aufgezeigten Sinne. Insofern ist das Buch keineswegs für alle Studierende im Bereich der genannten Sicherheitsbehörden „prüfungsrelevant“, wie dies potentiellen Käufern durch den hier sehr anmaßend wirkenden Klappentext suggeriert wird.

Professor Dr. Armin Pfahl-Traughber, August 2023