Jan Rickmers, Meine 2 Leben. Ich bin nicht stolz, ein Polizist gewesen zu sein. Rezensiert von Thomas Feltes

Jan Rickmers, Meine 2 Leben. Ich bin nicht stolz, ein Polizist gewesen zu sein. Traitsching 2023, Memoir-Verlag, ca. 270 Seiten, ISBN 9783982512914, 19,90 Euro.

„Aus der Vasallentreue des 5. Jahrhunderts lassen sich die Mitarbeiterpflichten der Polizeien … in Deutschland ableiten“ (S. 169). Wenn ein Polizeibeamter auf sein Berufsleben zurückblickt und feststellt, dass er nicht stolz ist, ein Ordnungshüter gewesen zu sein, dann sieht man genauer hin. Das jüngst erschienene Buch von Rickmers (Pseudonym) ist eine schonungslose Abrechnung mit dem System Polizei, mit den dort tätigen Polizisten und auch mit dem BKA. Als Dr. jur. quittiert er mit 46 Jahren den Dienst und beginnt sein zweites Leben in der freien Wirtschaft.

Rickmers schreibt offen über seinen Werdegang vom kleinen Streifenbeamten bis zum Referatsleiter im Bundeskriminalamt – und seinen vorzeitigen Ausstieg und sein Leben danach als (erfolgreicher) Privatermittler. Sind die Geschichten aus den ersten Jahren noch eher amüsant, auch weil sie eine historische Bedeutung haben, so werden die Beschreibungen der Strukturen, die letztlich für die mangelhafte Fehlerkultur heutzutage in der Polizei verantwortlich sind, umso drastischer, je weiter der Autor in der Polizei aufsteigt.

Der Autor beschreibt anschaulich Schikanen und Mobbing im Dienst, im Wechsel mit teils amüsanten Begebenheiten im Polizeialltag. Das macht das Buch einerseits leicht lesbar, andererseits fragt man sich ständig, ob das denn wirklich (so) gewesen sein kann, wie es der Autor beschreibt. Wer aber in der Institution Polizei gearbeitet hat, der erkennt vieles an Geschichten, Problemen und Erfahrungen wieder, und der wundert sich eigentlich nur über den Mut, den der Autor aufbringt, nicht nur einzelne Geschichten zu erzählen, sondern sie auch (allerdings leider nur ansatzweise, s.u.) zu analysieren.

Neben der alltäglichen Arbeit beschäftigt den Autor auch die Aus- und Fortbildung sowie die Führungsstruktur in der Polizei:

„Die Ausbildung seiner Beamtenschar behält sich die Polizei immer noch selbst vor. Das Bildungsniveau ergab sich aufbauend auf … den Unzulänglichkeiten der beruflichen Aus- und Weiterbildung in polizeiinternen Lehrgängen, wobei das polizeiliche Ausbildungspersonal dadurch ausgewiesen war, dass es von Polizisten ausgebildet wurde, die wiederum durch ebensolches polizeiliches Personal ausgebildet worden waren etc … Dem polizeilichen Ausbildungspersonal mangelte es an den grundlegenden Kenntnissen der Pädagogik sowie oft an der notwendigsten Allgemeinbildung, eingesetzt „par ordre du mufti“. Beschickt wurden „qualifizierende“ Lehrgänge … nach Gutdünken der jeweiligen Vorgesetzten“ (S. 173).

An gleicher Stelle und noch an vielen anderen im Buch beschreibt der Autor, wie schwer es Mitarbeitende haben, die Dinge anders als ihre Vorgesetzten sehen, die neue Wege begehen wollen oder die einfach nur Abläufe („haben wir schon immer so gemacht“) hinterfragen wollen.

„Jasager wurden bevorzugt, zum Widerspruch neigende Beamte mit kreativen Ansätzen wurden nicht berücksichtigt. … Durch die Öffnung der Polizei für den Direkteinstieg in den gehobenen Dienst und damit in das Studium an der Fachhochschule der Polizei änderte sich die Zusammensetzung der Lehrgänge, aber eine Änderung am Ausbildungspersonal war nicht zu erkennen. Auch an der Polizei-Führungsakademie lehrten in der Mehrzahl Polizisten, die nicht einmal die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen erfüllten, um in ein Lehramt an einer Hochschule berufen werden zu können“ (S. 173).

Die strukturell bedingten und individuell geförderten Abhängigkeiten in der Polizei, die jüngst auch in Baden-Württemberg sichtbar wurden[1], beschreibt Rickmers anschaulich. „Stellt sich das Ausbildungssystem in sich schon als ungenügend dar, weil den Ausbildern die Kompetenz fehlt, kann das Ergebnis der Abhängigkeiten Blüten treiben. Angepasste Abhängige mit Treuebonus werden solange nach oben befördert, bis sie ihre absolute Unfähigkeit erreicht haben, also endlich den Job haben, den sie am wenigsten beherrschen“ (S. 173).

Intensiv beschäftigt sich der Autor auch mit dem Bundeskriminalamt, in dem er es immerhin bis zum Referatsleiter brachte. Sicherlich nicht aufgrund solcher Begebenheiten dort:

„Im Umfeld der Gruppe EA 3 war zu hören, die beiden Referate EA 31 und S 32 seien ein „Eldorado für Drückeberger“ (S. 150), was Rickmers ebenso anschaulich beschreibt, wie die Strategie, mit der er diesem Treiben ein Ende bereitet hat. Dass solches Führungspersonal sich bei den Mitarbeitenden unbeliebt macht und auch bei Vorgesetzten nicht immer und überall gut gelitten ist, versteht sich von selbst. Entsprechend ist die Karriere des Polizisten Rickmers von solchen und ähnlichen, oft noch drastischeren Situationen begleitet, die der Autor klar und deutlich, einschließlich der Nennung der Namen der „Problembeamten“ beschreibt.

Und auch die „Polizei-Führungsakademie“, jetzt „Hochschule der Polizei“ bleibt nicht ungeschoren. Als „Hochschule light“ bezeichnet er sie, und die dazu passende Geschichten liefert er auch.

Das Auswahlkriterium für Lehrer aus den Beamtenkontingenten des höheren Dienstes der Länder und des Bundes zur Abordnung oder Versetzung an die PFA schien gewesen zu sein: Wer ist verzichtbar und wird nicht gebraucht und ist über seine Leistungsgrenzen hinaus befördert worden?“ (S. 87). Tatsächlich wird auch heute immer wieder einmal berichtet, dass zumindest die Fachhochschulen nicht immer das Ziel der Besten aus der Polizeipraxis sind und dass polizeiinterne Probleme auch oftmals durch entsprechende Abordnungen „gelöst“ werden. Hochschulinterne Auswahlverfahren mit Beteiligung externer, unabhängiger Gutachter, wie sie an „richtigen“ Hochschulen die Regel sind, gibt es hier immer noch zu selten.

Das Buch irritiert erst einmal durch die ungewöhnliche Drucktype, die eher einer alten Schreibmaschine ähnelt. Dass es im gleichen Verlag erschienen ist wie die Bücher von Wilhelm Dietl verwundert nicht, sind dessen Abrechnungen mit Polizei und Geheimdiensten doch wohlbekannt. Was aber verwundert ist, dass der Autor, der immerhin bei dem (damals) bekannten Kriminologen Armand Mergen in Mainz promoviert hat, seine Berichte nicht mehr durch wissenschaftliche Quellen belegt (die es ja gibt) oder mit deren Hilfe analysiert. So bleibt die persönliche Geschichte eines außergewöhnlichen Menschen, der in der Institution Polizei aus ganz verschiedenen Gründen nicht reüssieren konnte – und vielleicht auch nicht wollte.

 

Thomas Feltes, November 2023

[1] Ein von Rickmers beschriebenes Ereignis, als der Personalchef beim Berliner Polizeipräsidenten seine Freundin in den höheren Dienst aufsteigen lassen wollte (S. 82 ff.), ähnelt frappierend den Ereignissen in Baden-Württemberg.