Lösel/Carl/Link, Evaluation der Behandlung von Sexualtätern im Strafvollzug. Rezensiert von Thomas Feltes

Lösel, Friedrich, Lena C. Carl, Eva Link, Evaluation der Behandlung von Sexualtätern im Strafvollzug. Eine umfassende multizentrische Studie. Nomos, Baden-Baden 2023, 320 Seiten, ISBN 978-3-7560-1152-0, 99.- Euro

Die Behandlung von Straftätern im Vollzug wird in der (auch Fach-)Öffentlichkeit unterschiedlich gesehen und „hat in den vergangenen Jahrzehnten ein Auf und Ab zwischen unrealistischem Optimismus und Pessimismus erfahren“ (S. 5). Besonders Sexualdelikte sind ein brisantes Thema. Die Behandlung von Tätern zur Rückfallvermeidung ist umstritten, aber letztlich der einzig verfassungsrechtlich legitimierbare Weg, Menschen einzusperren. Meta-Analysen zeigen positive Effekte, sie sind jedoch manchmal nur gering, manchmal sind sie sogar negativ, und oft gibt es methodische Probleme. Die nun vorgelegte Studie liefert dazu neue Erkenntnisse.

Die Autor*innen führten eine kontrollierte Evaluation an über 1.200 Sexualtätern in Bayern durch, mit einer sog. „Follow-up-Zeit“ von neun Jahren, d.h. nach dieser Zeit wurde überprüft, wer warum und wie rückfällig wurde. Die Daten für diese in Deutschland einmalige Studie stammen aus sieben sozialtherapeutischen Anstalten in Bayern sowie einer Kontrollgruppe von Unbehandelten im Normalvollzug. Es handelt sich um das bislang umfangreichste abgeschlossene Projekt zur Evaluation der Sexualtäterbehandlung in sozialtherapeutischen Anstalten bzw. Abteilungen (SothAs) des Justizvollzugs und die Ergebnisse verdienen daher besondere Aufmerksamkeit. Denn, um dies noch einmal zu wiederholen, „Wegsperren“ ohne Perspektive auf Entlassung ist nicht zulässig, selbst bei Verurteilten zu lebenslanger Freiheitsstrafe und bei Menschen, die in Sicherungsverwahrung untergebracht sind, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt hat (BVerfGE 45, 187, 227 ff.). Also muss man intensiv der Frage nachgehen, was denn getan werden kann und was getan werden muss, um die Entlassung konstruktiv vorzubereiten und einen Rückfall zu vermeiden.

Im Bereich der Behandlung von Sexualstraftätern hat sich in den letzten 25 Jahren vieles geändert. Die große Aufmerksamkeit, die Sexualdelikte in der Bevölkerung, den Massenmedien und der Politik erhalten, hat dazu geführt, dass der Gesetzgeber 1998 eine Strafrechtsreform verabschiedete, die einerseits schärfere Sanktionen und andererseits eine Behandlungspflicht in Sozialtherapeutischen Anstalten (SothAs) für Sexualtäter und andere Gewalttäter mit Freiheitsstrafen von mehr als zwei Jahren vorsah. „Die Fachwelt äußerte sich damals teilweise skeptisch. Unter anderem stellten sich Fragen zur Behandlungspflicht und auch zu einem realistischen Ausbau der erforderlichen Behandlungskapazitäten. Letzteres ist weitgehend gelungen. Jedoch gab es nach einem systematischen Review damals in Deutschland kaum methodisch gut fundierte Studien, die für einen Erfolg der Sexualstraftäterbehandlung beim sexuellen Rückfall sprachen (vgl. Lösel, 2000). Bei der allgemeinen Rückfälligkeit deuteten sich positive Effekte an, was darauf hinwies, dass die Erfahrungen und Konzepte für die Behandlung der Klientel der Sexualtäter in Gefängnissen hierzulande noch wenig entwickelt waren“ (S. 6).

Seither gibt es international und in Deutschland mehr Forschung und Praxiserfahrungen zu diesem Thema. Die Ergebnisse machen aber klare Schlussfolgerungen noch immer schwierig. Internationale Meta-Analysen zeigten zwar im Durchschnitt positive, aber sehr heterogene Ergebnisse. Vereinzelt gab es sogar Studien, die zu negativen Ergebnissen kamen, d.h. die Unbehandelten hatten bei der sexuellen Rückfälligkeit geringere Raten auf als die Behandelten, wobei diese Studien oftmals methodische Mängel aufwiesen.

Auch in Deutschland gab es Ergebnisse, die keinen signifikanten Behandlungseffekt beim sexuellen Rückfall zeigten. Dass die Autoren unter der Leitung von Lösel dennoch dieses Projekt durchführten, auch um von der Aussage des „nothing works“ wegzukommen, verdient ein großes Lob. Die Autoren selbst beschreiben ihre Ergebnisse als „differenzierten Befund“ und „durchaus positiv und ermutigend“ (S. 7).

Untersucht wurde in der Studie die Art der Rückfälligkeit, den Schweregrad, den zeitlichen Verlauf, die Behandlungsinhalte, das Institutionsklima, Therapieabbrüche, die ambulante Nachsorge, Merkmale des Personals, und andere Aspekte. Die Befunde sprechen für einen realistischen Behandlungsoptimismus, aber auch Fortentwicklungen in der Praxis.

Die Rückfallraten bei den im Normalvollzug Behandelten und Unbehandelten unterschieden sich durchaus beachtlich (S. 114). Der allgemeine Rückfall lag bei 40,3 % bei den Unbehandelten und bei 34,1 % bei den behandelten, der „sexuelle Rückfall“ bei 5,8 % vs. 4,1 % und der schwere Rückfall bei 8,0 % vs. 6,3 %. Auch wenn diese Unterschiede auf den ersten Blick nicht gravierende zu sein scheinen, so sind sie doch auch aus anderen Gründen bedeutsam: Zum einen ist die Dauer bis zum Rückfall bei behandelten Straftätern deutlich länger, und zum anderen geht es bei der Behandlung im Vollzug nicht nur um die Vermeidung einer zukünftigen Straftat, sondern auch darum, den Gefangenen auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, und das ist mit einer Behandlung in jedem Fall besser möglich als ohne.

Ein anderes Ergebnis war von der Tendenz her für den Wissenschaftler erwartbar, in der Öffentlichkeit wird dies aber oftmals eher gegenteilig eingeschätzt: Sexualstraftäter werden seltener rückfällig als andere Straftäter, und nur in sehr wenigen Fällen begehen sie erneut ein Sexualdelikt: Bei unbehandelten Gefangenen liegt diese Quote bei 7,6 %, bei behandelten bei 5,0 %. Dies gilt tendenziell auch für sog. „Kindesmissbraucher“ (s. 118 f.).

Interessant sind auch die signifikanten Unterschiede zwischen den sieben bayerischen SothAs, die in der Studie aufgezeigt wurden. Ein deutlicher Unterschied zwischen den Einrichtungen zeigte sich bei der Skala zur Wahrnehmung des Personals (s. Abb. von S. 166; „SothA“ = Sozialtherapeutische Anstalt A bis G).

Mehr als ein Drittel der Gesamtvarianz in den Ergebnissen wurde durch die Zugehörigkeit zur Einrichtung aufgeklärt, also durch Unterschiede zwischen den Anstalten und dem Organisationsklima (S. 229). Ein Ergebnis, das man von der Tendenz her auch aus anderen Institutionen kennt: Ein gutes Arbeitsklima bringt gute Arbeitsergebnisse und umgekehrt.

Dies ist jedoch nicht pauschal auf mehr vs. weniger positive Einschätzungen des Personals (das dazu ebenso wie die gefangenen befragt wurde) zurückzuführen, denn die einzelnen SothAs variierten unterschiedlich. Fast 50 % in der Varianz in der Gesamtbewertung konnten durch die sog. „Klimaskalen“ aufgeklärt werden, d.h. durch die Beurteilung des jeweiligen Anstaltsklimas. Je positiver diese Bewertung durch die Mitarbeitenden war, umso geringer war der Rückfall.

Was eigentlich plausibel und letztlich banal erscheint, ist in der Praxis allerdings alles andere als das, was jeder Strafverteidiger, der Mandanten im Gefängnis betreut, bestätigen kann. Solche Vergleiche von Anstalten sind in der Praxis unbeliebt, wissenschaftlich auch durchaus umstritten, denn die Vergleichbarkeit ist oftmals nicht oder nur bedingt gegeben, was die Autor*innen der vorliegenden Studie auch hervorheben. Aber ungeachtet dieser Einschränkungen können solche Ergebnisse auch dazu beitragen, im Sinne von „best-practise-Projekten“ Vergleiche anzustellen, um den Ursachen für die Unterschiede auf die Spur zu kommen.

Ein weiterer, plausibler und prinzipiell auch bekannter Befund: Die Gewährung von Lockerungen hat entscheidende Auswirkungen auf den Rückfall (S. 206). Je intensiver eine Entlassung durch entsprechende Lockerungen wie Ausgang vorbereitet wird, umso niedriger ist die Rückfallquote. Dies gilt besonders für den allgemeinen Rückfall (43% vs. 30%, wenn Lockerungen erfolgten), aber auch für den Rückfall mit Gewaltdelikt (15% vs. 12%), wobei die „sexuelle Rückfallquote“ (also die Begehung eines Sexualdeliktes nach der Entlassung), die mit 6 % in beiden Fällen extrem niedrig ist (S. 206).

Insgesamt haben die Autor*innen hier eine Studie vorgelegt, die dankenswerterweise die Diskussion um die Notwendigkeit der Behandlung im Vollzug ebenso wieder anregt wie um die Frage, welche Behandlung zielführend ist und wie die unabdingbar gebotene Entlassung so vorbereitet werden kann, dass die Rückfallrate möglichst niedrig ist und die Gesellschaft somit am besten vor weiteren Straftaten geschützt wird.

Thomas Feltes, November 2023