Hunold / Bauer / Dangelmaier (Hrsg.): Stadt. Raum. Institution. Rezensiert von Karsten Lauber

Daniela Hunold, Eva Bauer, Tamara Dangelmaier (Hrsg.): Stadt. Raum. Institution. Wiesbaden, Springer VS 2023, 279 Seiten, Softcover – ISBN: 978-3-658-41823-6, 44.99 EUR, E-Book – ISBN: 978-3-658-41824-3, 34,99 EUR

Die 15 Beiträge in diesem Sammelband sind Ergebnis der Abschlusstagung „Die institutionelle Raumproduktion des Städtischen“, die im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts „Die Konstruktion von Räumen im Kontext von Sicherheit – Raumwissen bei der Polizei (KORSIT)“ stattfand. Einschließlich der Herausgeberinnen sind 26 Autorinnen und Autoren an dem Sammelband beteiligt. Über deren beruflichen Hintergrund informiert das Autorenverzeichnis – mit Ausnahme von Roman Thurn, der dort nicht genannt wird.

Die drei Herausgeberinnen waren vormals an der Deutschen Hochschule der Polizei tätig. Daniela Hunold (Professorin für Soziologie) und Tamara Dangelmaier (wissenschaftliche Mitarbeiterin) sind nun bei der Hochschule für Wirtschaft und Recht beschäftigt, Eva Bauer (Doktorandin) an der Hochschule Fulda.

Der Sammelband ist in vier Teile strukturiert: Zunächst der Einführungsbeitrag zur „Zentralität von Raumform“ von Bernd Belina. Danach folgen die drei Kapitel „Sicherheit und Raum“ (sechs Aufsätze), „Räumliche Inklusions- und Exklusionspraktiken (sechs Aufsätze) und „Transformation des Urbanen“ (drei Aufsätze). Ergänzt werden diese Inhalte durch eine Einleitung von Daniela Hunold und ein Autorenverzeichnis, wobei diese beiden Beiträge nicht im Inhaltsverzeichnis genannt werden.

Das erste Kapitel „Sicherheit und Raum“ eröffnen die Herausgeberinnen mit „Die Konstruktion von Räumen im Kontext von Sicherheit – Raumwissen bei der Polizei“ (S. 17 – 37). Die Autorinnen befassen sich darin mit der „Produktion von Raumwissen bei der Polizei und deren Auswirkungen auf das polizeiliche Handeln“ (S. 17). Im Fokus stehen Kriminalitätskarten, räumliches Erfahrungswissen und Narrative (S. 18). Methodisch basiert die Untersuchung auf teilnehmenden Beobachtungen und qualitativen Interviews in zwei Städten, die explizit als „westdeutsch“ bezeichnet werden. Generell wird jedoch nur wenig auf die Methoden eingegangen; ebenso bleibt die theoretische Fundierung unscharf. Einleitend weisen die Verfasserinnen darauf hin, dass „der physische Raum einen wesentlichen Handlungsrahmen für die polizeiliche Kriminalitätskontrolle“ (S. 17) bildet. Hier stellt sich die Frage, ob es anders sein könnte. Wie sähe ein Handlungsrahmen aus, bei dem der physische Raum unwesentlich wäre? Ebenso unklar ist die Bedeutung der Aussage, wonach die Polizei „eine raumbezogene staatliche Organisation“ darstellt (S. 17). Die „systematische Verwendung von Kriminalitätskarten innerhalb der Polizei“ (S. 33) konnte in der Untersuchung nicht festgestellt werden; allerdings dürfte es in den Landeskriminalämtern bzw. dem Bundeskriminalamt hinreichend Gegenbeispiele geben, die nachweisen, dass es durchaus eine systematische Verwendung in „der“ Polizei gibt. Ein naheliegender Beweis – auch für eine dezentrale Verwendung – sind die verschiedenen Ansätze zum Predictive Policing oder das wenig überzeugende Einbruchsradar in Nordrhein-Westfalen. Stellenweise entsteht der Eindruck, als würde ein präziserer Einblick in die Struktur der Polizei fehlen. Das folgende Beispiel soll dies veranschaulichen: „Es zeigte sich, dass Erfahrungswissen nicht nur für die Polizeibeamt:innen auf der Straße eine Rolle spielt, sondern auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Leitzentrale“ (S. 33 f.). Die Trennung zwischen Polizeibeamten „auf der Straße“ und den Mitarbeitenden (die im Übrigen auch Polizeibeamte sind) in der Einsatzzentrale ist angesichts der polizeilichen Einheitslaufbahn problematisch. Die Gegenthese könnte lauten: Fast alle Beschäftigten in den Einsatzzentralen waren vor ihrer Verwendung in der Einsatzzentrale im polizeilichen Streifendienst tätig und profitieren in ihrer aktuellen Tätigkeit von dem Erfahrungswissen, das sie „auf der Straße“ gewonnen haben. Ungewöhnlich ist zudem, einen Aufsatz mit der häufigen Verwendung des Begriffs der „Definitionsmacht“ zu lesen, ohne dass auf die Quelle von Feest und Blankenburg (1972) hingewiesen wird. An einer Stelle dürfte die Definitionsmacht zu sehr in Anspruch genommen worden sein: „Bei offensichtlichen Verstößen im Straßenverkehr handelt die Polizei in Abhängigkeit der Situation, den beteiligten Personen und deren Verhalten unterschiedlich und gebraucht Ermessen, um als „gute Polizei“ wahrgenommen zu werden“ (S. 32). Es könnte der Eindruck entstehen, die Ermessensausübung würde lediglich opportunistischen Zwecken dienen. Die so dargestellte bzw. als generalisierend zu interpretierende Auslegung des Opportunitätsprinzips, das im Ordnungswidrigkeitengesetz verankert ist, bleibt ohne Nachweis und damit als bloße Behauptung schwierig. In der Gesamtbetrachtung bleibt ein weiterer Aufsatz, der sich dem populären Narrativen widmet – durchaus informativ, aber für einen fachspezifischen Sammelband kaum mit Neuigkeiten.

Im Anschluss daran folgt der Aufsatz „Verdächtiger Raum“ von Roman Thurn (S. 39 – 53) mit dem Untertitel „Konstruktionen des Verdachts entlang polizeilicher Repräsentationen des Raums“. Untersuchungsgegenstand ist die Schleierfahndung, die in der Verdachtsschöpfung auf das Verhalten der Personen, auf personenbezogenen Faktoren (Alter, Geschlecht, Ethnie) und auf Zeit und Raum rekurriert. Der Beitrag beruht auf Material, welches im Rahmen des Projekts „Mobile Berührungslose Identitätsprüfung im Anwendungsfeld Migration“ (MEDIAN) an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS Berlin), erhoben wurde. Fachkundige Leser/-innen werden auch diesem Beitrag im Wesentlichen nichts Neues entnehmen können. Dass von „der“ Schleierfahndung“ gesprochen wird, ist sicherlich ein Manko, da sich die Normen in den jeweiligen (und nicht allen) Polizeigesetzen durchaus unterscheiden. Zu wenig deutlich wird, dass die polizeiliche Verfolgung grenzüberschreitender Kriminalität kein Selbstzweck der Polizei ist; auch die zu geringe staatsrechtliche Perspektive führt zu Inkonsistenzen in der Argumentation des Autors. Plakative Aussagen wie „Bezogen auf den Nationalstaat ist die Vorstellung von Grenzen als Linien, die den physischen Raum durchziehen, Ideologie“ (S. 39) sind ohne nähere Ausführungen kaum als analytisch zu betrachten. Da im folgenden Satz auf ein „falsche[s] Bewusstsein“ (S. 39) genommen wird, hätte zumindest ein Bezug zu Marx/Engels hergestellt werden sollen. In dem Aufsatz sind wiederkehrend anzutreffende Stereotypisierungen und Generalisierungen in Bezug auf die Polizei bemerkenswert, jedoch wenig solide; denn Thurn verwendet damit die gleichen Stilmittel, die er zur Skandalisierung der Polizei nutzt.

„Die Polizei und Alternativen der Sicherheitsproduktion am ‚gefährlichen Ort‘ Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg“ von Nora Keller (S. 55 – 73) befasst sich – vor dem Hintergrund der neu eingerichteten Polizeiwache am Kottbusser Tor – mit der Wahrnehmung von Polizei. Der Tenor lautet, dass Nachbarschaften besser zur Lösung von Konflikten geeignet sind als die Polizei. Der an sich interessante Untersuchungsgegenstand leidet jedoch an (a) Theoriearmut in diesem Aufsatz, (b) mangelnder Distanz zum Untersuchungsgegenstand und (c) einer intransparenten Methode. Aussagen wie „dass nachbarschaftliche Strategien der Sicherheitsproduktion für viele besser funktionieren, als diejenigen der Polizei“ (S. 56) bieten gute Ansatzpunkte für weitergehende Analysen – allerdings sind sie wenig tauglich, wenn nicht näher ausgeführt wird, was unter „viele“ zu verstehen ist. Hier wären Aussagen zur Stichprobe wünschenswert gewesen. Die zu geringe Reflexion kriminologischer und polizeiwissenschaftlicher Literatur führt zu Fehlern wie der Aussage, wonach polizeirechtliche Regelungen zur Einordnung von Räumen als „gefährliche Orte“ in den 1990ern und 2000ern eingeführt wurden. Das Sicherheitsempfinden wird zwar genannt, erscheint jedoch nicht als analytische Kategorie. Dass sich Bewohner/-innen von „gefährlichen Orten“ sicherer fühlen als andere Personen, die sich dort aufhalten, ist nicht neu. Es wird nicht klar, wie die Autorin das Sicherheitsempfinden in ihrer Arbeit versteht. So schreibt sie: „Eine Vertrautheit mit dem Ort eröffnet auch die Möglichkeit, gewissen Phänomenen aus dem Weg zu gehen, beispielsweise durch das Wechseln der Straßenseite, und sie dann immer weniger wahrzunehmen“ (S. 59). Damit ist nichts anderes beschrieben als das Vermeideverhalten, d.h. die konative Komponente einer allgemeinen personalen Kriminalitätseinstellung. Hier läuft die Argumentation also ins Leere. Unklar ist aus einer polizeigeschichtlichen Perspektive, weshalb die Polizei erst spätestens seit Anfang des letzten Jahrhunderts die Aufgabe gehabt haben soll, Sicherheit im öffentlichen Raum herzustellen (S. 60). Geht man davon aus, dass die Polizei im heutigen Verständnis im Jahr 1848 mit der Einrichtung der Berliner Schutzmannschaft entstand, würde die zeitliche Einordnung um über 50 Jahre zu spät erfolgen.

Ina Hennen widmet sich in ihrem Aufsatz den „Raumordnungen kommunaler Ordnungsdienste“ (S. 75 – 89). Die Arbeit ist Teil eines Dissertationsprojektes. Für den Sammelband steht die Frage des Raumwissens im Vordergrund, d.h. auf welche Wissensbestände greifen die Mitarbeitenden der Ordnungsdienste zurück. Die Arbeit basiert auf Interviews und teilnehmenden Beobachtungen. Zwar ist das Kapitel 4 (S. 80 f.) mit „Forschungsfrage und Methode“ bezeichnet, doch fehlt in den darauffolgenden kurzen Ausführungen eine klar formulierte forschungsleitende Fragestellung. Bereits in der einleitenden Zusammenfassung weist die Autorin darauf hin, dass „die KOD im Alltag neben organisationsinternem Wissen auch auf Raumwissen der Polizei rekurrieren“ (S. 75). Das ist zunächst keine überraschende Aussage. Angesichts der vielenorts fehlenden Institutionalisierung der Aus- und Fortbildung rückt die Autorin damit jedoch eine zentrale Frage in den Vordergrund ihrer Untersuchung. Mit dem lediglich kurzen Hinweis auf eine fehlende einheitliche Ausbildung ließ die Autorin jedoch viel Potential brach liegen. Die Kritik an der Aus- und Fortbildung der kommunalen Ordnungsdienste zieht sich wie ein roter Faden durch deren Geschichte und zählt zu den prominent diskutierten Handlungsbedarfen – nicht erst seit den letzten 20 Jahren. Nicht klar wird, weshalb die Ordnungsdienste wiederkehrend mit der Polizei und den gewerblichen Sicherheitsdiensten verglichen werden (S. 76); die Sicherheitsdienste sind hier fehl am Platz. Das wesentliche Manko liegt jedoch in der gesetzlichen Einordnung der kommunalen Ordnungsdienste. Sofern beschrieben wird, dass die Ordnungsdienste „in der Regel für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im öffentlichen Raum zuständig“ (S. 76) sind, fehlt die zentrale Aufgabe als Gefahrenabwehrbehörde mit originärer Zuständigkeit; die Polizei wird – abgesehen von der straftatenbezogenen Gefahrenabwehr – i.d.R. nur (subsidiär) tätig, wenn die Abwehr der Gefahr durch die Kommune nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die gefahrenabwehrende Aufgabe allerdings noch genannt: Der „‚kleinste gemeinsame Nenner‘ im Hinblick auf die Aufgaben und Befugnisse besteht in der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und der Gewährleistung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit. Meist sollen die KOD die Polizei unterstützen, Präsenz im öffentlichen Raum zeigen und Ansprechpersonen für Bürger*innen sein“. Der populär verwendete Sauberkeitsbegriff ist in dieser Aufzählung allerdings entbehrlich. Verstöße gegen abfallrechtliche Vorschriften stellen regelmäßig polizei- bzw. ordnungsrechtliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit dar. Auch hier fehlt der Hinweis auf die originäre Zuständigkeit auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr. Unklar ist deshalb, weshalb es eine hervorzuhebende Aufgabe der Ordnungsdienste sein soll, die Polizei zu unterstützen. Unabhängig von grundlegenden Fragen der Amtshilfe ist es mit Blick auf die Systematik des Polizei- und Ordnungsrechts eher andersherum: die Polizei unterstützt die Ordnungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer originären Aufgaben. Auch bei den Befugnissen der Mitarbeitenden der Ordnungsbehörden haben sich Ungenauigkeiten eingeschlichen, wenn beispielsweise behauptet wird, dass „[i]nsbesondere im Einheitssystem […] die Ordnungsdienste teils ähnliche Befugnisse wie Polizeivollzugsbeamte“ (S. 77) haben sollen. Ebenso trifft nicht zu, dass es für kommunale Ordnungsdienste keine sog. gefährlichen Orte geben soll, „an denen sie, wie die Polizei, besondere Befugnisse haben“ – wie ein Blick nach Brandenburg und hier auf § 23 Nr. 1b, g Ordnungsbehördengesetz i.V.m. §§ 12 Abs. 1 Nr. 2, 21 Abs. 1 Nr. 4, 22 Abs. 1 Nr. 4 Brandenburgisches Polizeigesetz zeigt. Zutreffend weist die Autorin jedoch daraufhin, dass etliche Ordnungsdienste „erst noch ihren Platz als Sicherheitsakteur zwischen anderen Akteuren im öffentlichen Raum finden und festigen“ (S. 77) müssen. Dies gilt nicht weniger für die Wissenschaft, die wiederkehrend mit den Ordnungsdiensten fremdeln und sowohl deren Geschichte als auch das Polizei-/Ordnungsrecht zu wenig im Blick haben.

Einen lesenswerten Beitrag steuern Tim Lukas und Jan Üblacker für diesen Sammelband bei: „Lokale Kontrollkulturen und Gentrification. Eine Fallstudie zum kommunalen Ordnungshandeln im Düsseldorfer Bahnhofsviertel“ (S. 103 – 121). Dieser Aufsatz steht im Zusammenhang mit dem bereits abgeschlossenen Verbundprojekt „Sicherheit im Bahnhofsviertel“ der Universitäten Tübingen und Wuppertal – unter Teilnahme der Städte Düsseldorf, Leipzig und München. Folgt der kommunale Ordnungsdienst der Landeshauptstadt Düsseldorf einer eigenen Agenda – oder theoretisch formuliert: Lässt sich die „lokale Kontrollkultur“ (S. 103) dem theoretischen Konzept des „place habitus“ zuordnen? Die Explikation des theoretischen Ansatzes erfolgt unter Bezugnahme auf die „Cultur of Control“ von David Garland sowie verschiedenen Arbeiten, die einen lokalen Habitus begründen. Schade, dass die Arbeit an dieser Stelle keine Abgrenzung zum Konzept der Eigenlogik der Städte beinhaltet – aber das ist nur eine Marginalie. Auf diesem theoretischen Fundament wird untersucht, inwieweit die Aktivitäten des Ordnungsdienstes im Zusammenhang mit dem gentrifizierten Bahnhofsviertel in Düsseldorf stehen. Methodisch werden statistische Daten der Stadt Düsseldorf, Ergebnisse einer Dokumentenanalyse und Befunde qualitativer Interviews trianguliert. Im Ergebnis präsentieren die Autoren eine vielversprechende Analyse zum Vorhandensein eines „Düsseldorf Kontrollhabitus“ (S. 114), die noch Potential zur Ausweitung beinhaltet. So kommen in dem Aufsatz Daten des Ordnungsdienstes noch zu kurz, wobei es möglicherweise auch daran liegen könnte, dass kein Zugriff auf diese Daten gewährt wurde. In der Vergangenheit wurde wiederkehrend der restriktive Feldzugang durch die Polizei beanstandet, doch bleibt abzuwarten, in welchem Maße die Kommunen künftig bereit sein werden, die Zugänge für Untersuchungen der Ordnungsdienste zu öffnen. Nachdem das Inkrafttreten der Düsseldorfer Straßenordnung (andernorts als Polizeiverordnung oder Stadtordnung bezeichnet) als Schlüsselereignis herangezogen wird, wären dahingehend Kontroll- bzw. Sanktionsdaten wünschenswert gewesen. Nicht selten werden aufgrund des übergeordneten Bundes- bzw. Landesrechts diese kommunalen Normen jedoch überbewertet. Auch Daten aus Bürgerbeschwerden oder An- bzw. Notrufen bei der Polizei bzw. der Einsatzstelle des Ordnungsamtes wären plausible Quellen. Doch auch hier ist unklar, ob diese Daten überhaupt zur Verfügung standen bzw. gestanden hätten. Insofern stellen diese Hinweise keine Kritik an der vorliegenden Arbeit dar, sondern sind als Empfehlungen zu betrachten. Der Aufsatz beinhaltet allerdings typische Unschärfen, die im Zusammenhang mit kommunalen Ordnungsdiensten auftreten: der nicht näher begründete polizeiliche „Rückzug aus dem Bereich der Ordnungswidrigkeiten“ (S. 104) oder die Verwendung eines sozialwissenschaftlich verstandenen Begriffs der „öffentlichen Ordnung“ (S. 113) an Stellen, an denen polizei-/ordnungsrechtlich von der öffentlichen Sicherheit zu sprechen wäre. Gegen Ende des Aufsatzes zeigen die Autoren einen wichtigen Aspekt in Bezug auf die Beschwerdemacht auf. Die Bedeutung liegt darin, dass Beschwerden zur unmittelbaren Einsatzsteuerung der Ordnungsdienste beitragen oder die lokale Politik aktivieren können: „In der Interpretation des kommunalen Ordnungsdienstes sind es insbesondere die neuen Haushalte innerhalb des Aufwertungsgebiets, die ihre Beschwerdemacht ausüben“ (S. 115).

Teil des Kapitels „Räumliche Inklusions- und Exklusionspraktiken“ ist der Aufsatz „Institutionelle und instituierende Raumproduktion des Städtischen – Urbane Konflikte um Sicherheit und Wohnen“ von Peter Bescherer (S. 125 – 138). Bezugnehmend auf zwei frühere Untersuchungen wird die These vertreten, wonach die „Forderung nach mehr Sicherheit nicht zwangsläufig rechts- und die Unzufriedenheit mit der Wohnsituation nicht unbedingt linksorientiert ist“ (S. 125). Soziale Konflikte werden von Bescherer auf den Gebieten Sicherheit und Wohnen analysiert.

„Gegen hegemoniale Praktiken der Vergemeinschaftung. Der kollektive Umgang marginalisierter Personen mit institutioneller Disziplinierung, Exklusion und Verdrängung am Bremer Platz in Münster“ ist der Titel einer gemeinsamen Arbeit von Lorenz Gottwalles, Annika Stremmer und Manuel Wagner (S. 153 – 172). Die Beschreibung von Theorie und Methoden ist zwar knappgehalten, doch weist eine Fußnote auf einen „stärker methodisch ausgerichteter Artikel“ (S. 154) hin, der im Magazin Sozialraum publiziert wurde. Wie nicht wenige vergleichbare Untersuchungen dieser Provenienz leidet der Beitrag unter fehlender Distanz zum Untersuchungsgegenstand. Dass die „Szene“ eben nicht nur Rückzugs- und Kommunikationsraum“, sondern auch ein Ort der (Sexual-)Gewalt ist (was in diesem Aufsatz deutlich beschrieben wird), wird hingegen zu wenig analysiert.

Das letzte Kapitel „Transformation des Urbanen“ leitet David Joshua Schröder mit „Die Refiguration infrastruktureller Kontrollzentralen“ (S. 245 – 262) ein. Untersuchungsgegenstand sind „Kontrollzentralen“ – oder eingängiger bezeichnet als Einsatzzentralen oder Leitstellen. Nachdem sich die Polizeiwissenschaft schon früh den Notrufen gewidmet hat, rückt der Autor mit den Einsatzzentralen eine bislang wenig beachtete Organisationseinheit in den Fokus. Für Schröder stehen die Kontrollzentralen „zusehends im Zeichen einer städtischen Souveränität“ (S. 227). Was damit gemeint ist, bleibt allerdings unklar – nicht nur mangels Rekurs auf die kommunale Selbstverwaltung. Das ist ein nicht selten anzutreffendes Manko, wonach die Rolle der Kommunen in der Kriminologie zu wenig aus verfassungs- bzw. kommunalverfassungsrechtlicher Perspektive bzw. der Rechts- und vor allem Verwaltungswissenschaften betrachtet wird. Ausgangspunkt der Überlegungen sollte sein, welche gesetzlichen Aufgaben die Kommunen zu erledigen haben; oft handelt es sich dabei um Pflichtaufgaben nach Weisung. Zurecht wird in dem Aufsatz auf die zunehmende Bedeutung des städtischen Krisenmanagements hingewiesen, das „sich dem Schutz kritischer Infrastruktur verschreibt“ (S. 228). Gleichwohl ist dabei zu trennen – zwischen (a) der städtischen Infrastruktur und (b) der Rolle der Kommunen; dies wird nicht zuletzt am Beispiel des aktuellen Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der CER-Richtlinie und zur Stärkung der Resilienz kritischer Anlagen (KRITIS-Dachgesetz) deutlich. Das dem Aufsatz zugrunde liegende Forschungsprojekt widmete sich einer breiteren Palette von Kontrollzentralen, von denen wenige Beispiele skizzenhaft Eingang in den Aufsatz fanden. Dabei wird der gemeinsame Nenner im Hinblick auf die „städtische Souveränität“ oder die übergeordnete Idee der Kontrollzentralen nicht recht deutlich. So finden sich die Mülleimersensoren in Santander neben der Kennzeichen-Erfassung zur Parkraumüberwachung in Seoul. In Deutschland, so der Autor, befinden sich bereits bestehende Kontrollzentralen eher am Stadtrand (S. 231) – eine bemerkenswerte Aussage, die jedoch ohne Nachweise bleibt. Ebenso unscharf bleibt die folgende Aussage: „Die Stärkung städtischer Handlungsmacht durch eine Konsolidierung von Leitstellen mag sich aus dieser Perspektive als der Versuch darstellen, politisch verloren gegangene Gestaltungsmacht auf ‚neutraler‘, technisch-infrastruktureller Ebene wieder zurückzugewinnen“ (S. 239). Diese plakative Aussage beruht weder auf einer Analyse noch wird sie begründet: Was wurde wann und wieso verloren? Es könnte der Eindruck entstehen, dass neue Kontrollzentralen Daten bündeln und allen Beteiligten zur Verfügung stellen. Kenner der Verwaltungspraxis (und des Datenschutzrechts ohnehin) dürften wissen, dass für eine derartige Praxis in den Kommunen weder eine entsprechende Software im Einsatz ist noch eine standardisierte Datenübermittlung an Dritte (z.B. Polizei) zulässig wäre.

Der abschließende Aufsatz von Helene Wendt und Henning de Vries (S. 263 – 279) widmet sich der Frage, inwieweit militärische Organisationen die Stadtentwicklung beeinflussen. Als Untersuchungsgegenstand dient die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam, die über vier Epochen hinweg sieben unterschiedliche Armeen beherbergte. Verglichen werden in diesem Aufsatz das auf Inklusion abzielende Bürger/-innen-Quartier – ausgehend von Friedrich Wilhelm I. (reg. 1713-1740) – und das auf Exklusion beruhende Militärstädtchen Nr. 7 als Ergebnis der Raumaneignung durch die Rote Armee ab 1945. In der Gesamtbetrachtung handelt es sich um eine gut lesbare und anschauliche stadtgeschichtliche Arbeit, die verdeutlicht, in welchem Umfang Potsdam städtebaulich durch die Armeestandorte bzw. -wohngebäude geprägt ist, wobei Folgewirkungen bis heute Einfluss auf die Stadtentwicklung nehmen.

Fazit

In den vergangenen Jahren erschienen etliche Publikationen, die sich der Kriminalgeografie widmeten. Mit Blick auf die bereits vorliegenden und recht überzeugenden Arbeiten kann der vorliegende Sammelband nicht Schritt halten. Kenner auf dem Gebiet der (Kriminal-)Geografie werden nur wenig Neues entdecken. An nicht wenigen Stellen kommt die Theorie zu kurz, was für ein Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, bemerkenswert ist. Wer sich den kommunalen Ordnungsdiensten widmet, sollte jedoch einen Blick in den Tagungsband werfen – und hier vor allem den Beitrag von Tim Lukas und Jan Üblacker heranziehen.

 

Karsten Lauber, Dezember 2023