Dahlke / Dietl: Deckname L. Ein Verfassungsschützer packt aus. Rezensiert von Thomas Feltes

Dahlke, Lothar, Wilhelm Dietl: Deckname L. Ein Verfassungsschützer packt aus. Memoir Verlag Traitsching, 2022, 417 S., ISBN: 9783982512907, 23,90 Euro

Der Kölner Verfassungsschützer, dem man den Namen Lothar Dahlke gab, kannte sich mit Schnittstellen des deutschen und internationalen Linksterrorismus aus und bewegte sich jahrzehntelang in dieser Grauzone. Er analysierte, ermittelte, fügte die Puzzlestücke zusammen, wie es sich für einen „Geheimagenten“ gehört. Er wusste aber auch, dass er an seine Grenzen stößt, wenn die Terror-Täter von skrupellosen Geheimdiensten losgeschickt werden. Spätestens nach dem Ende der RAF änderte sich die militante Struktur, und die Aktivisten waren als Söldner mit einschlägigen Vorkenntnissen sehr gefragt. Ihre Anschläge wurden, wenn überhaupt, dann erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zugeordnet und aufklärt.

Das Buch hat zwei Handlungsstränge, die sich immer wieder vereinigen. Die Person Lothar Dahlke ist der rote Faden, der vieles verbindet und Erklärungen liefert. Es handelt sich dabei, so der Klappentext, „um den ersten hochrangigen hauptamtlichen Verfassungsschützer in der Geschichte der Bundesrepublik, der über seine langjährige Tätigkeit im Bereich Staatsschutz auspackt, sich auch zu Fehlern und Pannen bekennt“.

Die Autobiographie beginnt im Berlin der Kriegsjahre und endet 2019. In dem Buch geht es um japanische und palästinensische Terroristen, deutsche revolutionäre Zellen und Antiimperialisten, Auftraggeber wie Gaddafi und Auftragnehmer wie Carlos, die Stasi und den syrische Luftwaffen-Geheimdienst, Israels Mossad und die CIA. Die Themen und Protagonisten werden jeweils kapitelweise abgehandelt, und mit entsprechenden Geschichten (und teilweise auch Geschichtchen), die Dahlke erlebt hat (oder erlebt haben will) garniert.

Für alle, die diese Zeit zwischen den 1970er und 2000er Jahren bewusst (mit)erlebt haben, birgt das Buch diverse deja-vu-Erlebnisse. Für alle anderen ist es eine Einführung in eine ansonsten nach außen strikt abgeschottete Geheimdienstkultur, von der man nur annehmen kann, dass sie alles daransetzt, dass wichtige Dinge gerade nicht bekannt werden. Umso dramatischer sind dann solche Enthüllungsbücher wie das hier vorgelegte: Auch wenn die konkreten Ereignisse lange zurück liegen, dürfte sich die Art und Weise der Arbeit der Geheimdienste nur wenig verändert haben. Nur, wenn Journalisten einmal tiefer recherchieren, wird uns bewusst, wie sehr solche Handlungen oder Unterlassungen gesellschaftliche und politische Entwicklungen beeinflussen können. So zuletzt bei dem Angriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023, wo bislang zwar klar ist, dass der Mossad versagt hat, aber noch nicht klar ist, wo genau die politische Verantwortung dafür lag; oder die sog. „BVT-Affäre“ in Österreich, die dem dortigen Verfassungsschutz massiven Schaden zugefügt hat. Oder auch der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin in der Flora in Hamburg („Die Spionin, die ich liebte“), bei dem auch der Verfassungsschutz beteiligt gewesen sein soll.

Wie unvollständig dabei in dem Buch manche Geschichten sind, kann man nur beurteilen, wenn man die jeweiligen Hintergründe kennt. Der Rezensent war vor vielen Jahren mit einem der in dem Buch geschilderten Vorfälle befasst: Unter „TWA 847 und der Fall Hamadi“ (S. 348 ff.) beschreiben die Autoren ausführlich die Entführung der US-amerikanischen Linienmaschine und die Ermordung eines US-Soldaten. Verschwiegen wird, dass Hamadi später nach Deutschland zurückkehrte (wo er schon einmal gelebt hatte) und einen Sprengstoffanschlag plante – jedoch nach der Einreise 1987 in Frankfurt verhaftet und hier wegen der Flugzeugentführung und der Ermordung verurteilt wurde. Er erhielt eine lebenslange Haftstrafe, wurde 2005 auf Bewährung entlassen und kehrte in den Libanon zurück. Als er aus dem Gefängnis entlassen und in den Libanon abgeschoben werden sollte, gab es eine geheimdiensttaugliche Maßnahme des Gerichts, um die Abschiebung so durchzuführen, dass weder der CIA oder der FBI, noch die Hisbollah Hamadi in die Hände bekommen konnten – denn die USA verlangten rigide die Auslieferung von Hamadi, der bis heute auf der FBI-Liste der „Most-Wanted“-Personen steht – mit einem Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar, obwohl er angeblich 2010 durch eine US-Drohne in Pakistan getötet worden sein soll.

Dieses Beispiel soll nur verdeutlichen, dass die in dem Buch dargestellten Geschichten und Ereignisse in allen Fällen komplexer, umfassender und manchmal vielleicht sogar grundlegend „anders“ gewesen sind, als dargestellt. Denn Quellen oder gar wissenschaftliche Nachweise sucht man in dem Buch vergeblich. Ungeachtet dessen lohnt die Lektüre – auch wenn sie an dem Image der Geheimdienste gehörig kratzt und vieles, was wir uns so vorstellen, relativiert. Und uns damit vielleicht auch desillusioniert zurücklässt.

Noch ein Wort zu den Autoren: „Lothar Dahlke“ wurde 1943 in Berlin (mit anderem Namen) geboren. Nach dem Bau der Mauer ging er zum Verfassungsschutz nach Köln, wo er sich bis an sein Lebensende um Staatsschutz und Terror-Abwehr kümmerte. Spät entschied er sich, eine Autobiographie zu verfassen, die nun nach seinem Tod erschienen ist und gemeinsam mit Wilhelm Dietl verfasst wurde, der 1955 in Kötzting/Bayern geboren wurde und im Laufe der Jahre für Polit-Magazine, Tageszeitungen und das Fernsehen arbeitete. Von Anfang der der 1980er bis in die 1990er Jahre war er für den Bundesnachrichtendienst (BND) im Nahen Osten tätig – bis er vom BND geoutet wurde. Danach befasste er sich mit Consulting im Sicherheitsbereich. Die Website des Memoire-Verlages: https://www.memoirverlag.de/

Thomas Feltes, Januar 2024