Fabian Odermatt, Das Recht im filmischen Spiegel. Verführung, Mythos und Performanz. Rezensiert von Thomas Feltes

Fabian Odermatt, Das Recht im filmischen Spiegel. Verführung, Mythos und Performanz. Reihe Bild und Recht – Studien zur Regulierung des Visuellen (Band 13), Nomos-Verlag Baden-Baden, 2023, 272 Seiten, ISBN 978-3-7560-0253-5, 84.- Euro

Als Ausgangspunkt seiner Studie verwendet der Autor den deutschen Fernsehfilm „Terror – Ihr Urteil“, der bei seiner Ausstrahlung 2016 für intensive Diskussionen sorgte. Der Autor geht davon aus, dass rechtsbezogene Narrative seit je her ein beliebtes Motiv filmischer Inszenierungen darstellen – oder anders formuliert: Verbrechen fasziniert. Odermatt will in seiner Studie der Frage nachgehen, worauf die „unentwegte Faszination des Publikums für filmische Spiegelungen des Rechts“ basiere – und setzt schon hier einen Punkt, der zu hinterfragen ist. Wenn er von „filmischen Spiegelungen“ spricht, aber Filme meint, die gemeinhin dem Genre „Crime“ unterfallen, spiegeln diese nicht Recht, sondern sie stellen fiktive, in der Regel dramaturgisch verzerrte Geschehnisse dar.

Auf der Grundlage des „Konzepts der Verführung“ legt der Autor dar, dass die Antwort auf die Frage, woher diese Faszination komme, in der filmischen Inszenierung selbst liegt. Im Zentrum seiner Analyse stehen die „Begehren des Publikums“: nach einer Begegnung mit verschiedenen rechtsbezogenen Mythen wie auch danach, Recht im Film als sinnliches Ereignis erfahren zu können.

Ziel der Untersuchung sei es, eine Erklärung dafür zu finden, wie rechtliche Motive im Film gegenüber einem hypothetischen Publikum durch das Aufbringen inszenatorischer oder narrativer Mittel Wirkung entfalten – wobei er diese „Wirkung“ eher theoretisch als empirisch betrachtet. „Im Zentrum der Untersuchung stehen damit nicht individuelle rezipierende Personen, sondern die idealtypischen Wirkungsmöglichkeiten des filmischen Werks. Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass das filmische Artefakt gegenüber dem Publikum dominante Lesarten von filmischen Spiegelungen des Rechts vorgeben kann“ (S. 17).

Anhand des Beispiels von „Terror – Ihr Urteil“ will er aufzeigen, dass sich diese Wirkung auf einer unbewussten und dem Publikum nicht vollends zugänglichen Ebene manifestiert, und zwar im Rahmen der Täuschung oder aber der Verführung hin zu Positionen, welche nicht den angestammten (rechtlichen) Vorstellungen der für das Drehbuch oder die Regie verantwortlichen Personen entsprechen – wobei er, wie wir alle, nicht wissen (können), was die tatsächlichen rechtlichen Vorstellungen dieser Personen sind. Der Autor geht dabei von der sog. „Seduktionstheorie“ Stigleggers aus, welche das Medium Film als genuines Medium der Verführung definiert (S. 17) – und damit sowohl eine kausale, als auch eine intentionale Ebene einführt. Stiglegger hat 2005 zum Thema „Ritual und Verführung. Seduktive Strategien des Films“ an der Universität Mainz habilitiert und ist seit 2022 Vertretungsprofessur Bewegtbild, FH Münster School of Design.

Die Studie von Odermatt ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil geht es um Definitionen und Explikationen von Film und Recht sowie der Analyse des aus der Verbindung der beiden Begrifflichkeiten hervorgehenden Forschungsfelds. Außerdem werden – so der Autor – „die wichtigsten, im Lichte des bisherigen wissenschaftlichen Diskurses erarbeiteten Ansätze für die Ergründung der Wechselwirkungen von Recht und Film einer kritischen Überprüfung unterzogen und es wird aufgezeigt, das in der bisherigen, vorrangig empirisch ausgerichteten interdisziplinären Forschung eine filmwissenschaftliche Methodik weitgehend ausgespart wurde“. Er hat, so meint er, die Untersuchung „in den gegenwärtigen Diskurs eingebettet“.

Der zweite Teil dient der Darlegung der theoretischen Grundlagen. Unter Zugrundelegung der Seduktionstheorie wird die These formuliert, dass der Inszenierung von Recht im Film dann eine verführerische beziehungsweise seduktive Wirkung zukommt, „wenn bestimmte Motive des Rechts im narrativen Mittel des Mythos oder aber in jenem der Performanz (im Sinne von nichtnarrativen, sich an die sinnliche Wahrnehmung des Publikums richtenden Inszenierungsstrategien) transportiert werden“.

Im dritten Teil der Arbeit werden diese Grundlagen auf filmische Beispiele übertragen und deren Wirkmechanismen im Einzelnen behandelt. Dies sei erforderlich, weil die angewandte Methodik auf der Annahme basiere, dass verführerische Inszenierungen von Recht jeweils auf einem dialogartigen, diskursiven Spiel zwischen Film und Publikum beruhen. Daraus folge, dass sich die Wirkung solcher Inszenierungen nur anhand einer Analyse der filmischen Texte und Subtexte eruieren lasse.

Im Schlussteil werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengetragen und es wird im Sinne eines kurzen Ausblicks aufgezeigt, wie die erarbeiteten Erkenntnisse auf andere popkulturelle Medien übertragen oder aber hinsichtlich der Rechtsdidaktik nutzbar gemacht werden könnten.

Die Frage, die sich dabei stellt, ist, wie das jeweilige Publikum die medial vermittelten Inhalte verarbeitet. Das Beispiel von „Terror – Ihr Urteil“ lege, so der Autor, nahe, dass die Rezeption einen Einfluss hat, wie das Publikum rechtliche Botschaften aufnimmt. Diese doch recht naheliegende, ja selbstverständliche Aussage belegt er u.a. mit einer Schweizer Politsendung, sieht aber nicht die Konsequenzen dieser Aussage für seine Annahme des Mediums als „Verführer“.

Dem Film komme die Kraft zu, nicht nur die Vorstellung einzelner Rezipierender, sondern auch jene eines unermesslich großen Publikums zu beeinflussen. Dies gelte nicht nur für den Moment der Rezeption, sondern – im Sinne einer langanhaltenden und stetig wiederkehrenden Beschäftigung mit solchen Inhalten – auch in einem nachhaltigen Sinne (S. 22).  Dass der Film damit einen Einfluss auf die gesellschaftliche Vorstellung des Rechts haben könnte, decke sich auch mit der Einschätzung anderer Autoren, die darauf hinweisen, dass das Verständnis darüber, was Recht ist, immer auch von dem das Recht umgebenden Umfeld abhänge und zu diesem Umfeld gehören nicht zuletzt auch die kulturellen Erzeugnisse von Film. Diese Behauptung der (auch) langfristigen Wirkung von Medien bis hin zur maßgeblichen Beeinflussung von Einstellungen durchzieht aber die Medienwirkungsforschung seit den ersten empirischen Studien und den Arbeiten von Paul Lazarsfeld in den 1940er Jahren dazu. Merkwürdigerweise taucht weder dieser Pionier der Medienwirkungsforschung, noch die danach intensiv durchgeführten Studien zum stimulus-response-Modell in der Arbeit von Odermatt auf.

Der Autor behauptet am Ende seiner Arbeit, dass er „mit der Autorentheorie, der Medienwirkungsforschung sowie der Genretheorie … mögliche Ansätze skizziert“, um die Wirkung von Filmen zu ergründen. Dabei habe er aufgezeigt, „dass sich die Genese von Bedeutung nicht an einer hoheitlichen Position eines Autors festmachen lässt, sondern sich im Moment der Rezeption selbst, und damit im Verhältnis zwischen Publikum und filmischem Werk, entfaltet“. Mit Blick auf die Medienwirkungsforschung habe er dargelegt, „dass sich empirische Zugänge für die Ergründung konkreter Beeinflussungen von bewusst agierenden Rezipierenden als erkenntnisbringend erweisen, aber keine Einsichten über die Ausgestaltung der vorangegangenen Beeinflussungen durch das filmische Werk ermöglichen“ (S. 247).

Die Tatsache, dass der Autor immer wieder (z.B. S. 20) die „mangelnde Realitätstreue“ von Filmen kritisiert, ist dabei ebenso zu hinterfragen wie die Tatsache, dass er die umfangreich vorliegenden Ergebnisse der Medienwirkungsforschung wenn überhaupt, dann nur am Rande streift. Auf ganzen vier Seiten (S. 39 ff.) thematisiert er die Möglichkeiten (!) der Medienwirkungsforschung – aber praktisch ohne auf deren empirische Ergebnisse einzugehen. Das mag daran liegen, dass die Arbeit als juristische Dissertation verfasst wurde; aber man kann nicht aus einer juristischen Blickrichtung über Produkte wissenschaftlich urteilen, ohne sich auf die jeweiligen der entsprechenden Forschungsdisziplin zuzuordnenden Ergebnisse einzulassen. Dies hat die Arbeit versäumt. Stattdessen belässt es der Autor dabei, eine durchaus umstrittene Theorie zur Grundlage seiner Studie zu machen, was dann zu etwas merkwürdigen Kapitelüberschriften führt wie z.B. „Recht im Film als Verführung zum Anderen“ (S. 107) oder „Verführerische Zeitreise“ (S. 217).

Wer künstlerische Produkte zum „Rechtsfilm“ macht (S.45), der verkennt die grundlegenden Prinzipien und Wirkweisen von Spielfilmen, die gerade keine Dokumentarfilme sein wollen und können. Man mag dabei kritisieren, dass „all dies … juristisch betrachtet falsch“ ist (S. 13) und man kann auch, wie der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer dies bei dem Film „Terror“ getan hat, schwere und „existentielle Fehler“ bemängeln – wenn Fischer aber damals meinte, dass das Publikum „nach Strich und Faden belogen“ wurde, dann irrt er. Ein Spielfilm ist kein Dokumentarfilm, er darf zu (fast) allen dramaturgischen Mitteln greifen, wenn er den Zuschauer in seinen Bann ziehen, faszinieren will. Ein aufklärerischer oder gar belehrender Anspruch tut da selten gut.

Den Streit, ob und in wieweit Spielfilme tatsächlich an der Realität orientiert sein müssen oder sollen oder eben gerade nicht, diesen Streit trägt der Autor in seiner Studie leider nicht aus, ebenso wie er fast vollständig auf die Rezeption der Ergebnisse der Medienwirkungsforschung verzichtet. Stattdessen verläuft er sich in vielen Details zu den Filmen, die er meint zu analysieren. Hier hätte mehr Distanz – auch zur eigenen Juristenzunft – gutgetan.

Thomas Feltes, Januar 2024