Monika Geier, Antoniusfeuer. Rezensiert von Thomas Feltes

Monika Geier, Antoniusfeuer. Ariadne im Argument-Verlag, Hamburg 2023, ISBN 978-3-86754-270-8, 432 S., Gebunden mit Lesebändchen, 24,00 €

„Die rheinland-pfälzische Bevölkerung ist überwiegend katholisch, lebt im Familienverband in den eigenen vier Wänden und verfügt größtenteils über einen Schulabschluss …“. So der Zensus 2011 zum Bundesland Rheinland-Pfalz, in dem der Krimi spielt: Landau, die Pfalz, Ludwigshafen, dort, wo Kommissarin Boll ermittelt – in einem ausgesprochen verschroben Fall, in dem es um katholische Dorf-Aktivisten, die Dämonen austreiben (sollen? wollen?) geht, um das Isenheimer Altarbild voller bunter Bestien und um Kirchenrichter, Ehebandverteidiger und eine (verschwundene? verstorbene? umgebrachte?) Gutachterin in Ehenichtigkeitsverfahren, um Kirchenakten und um Mutterkorn, das Halluzinationen hervorruft und tödliche Wirkung hat[1], in einer Pfeffermühle im Jugendzentrum.

Monika Geier gilt als eine der besten deutschen Krimiautorinnen und Meisterin im Jonglieren mit den schrägen Aspekten der Wirklichkeit. „Antoniusfeuer“ ist ein gleichermaßen betörender wie verstörender Krimi: eine Story mit immer neuen Wendungen und gut gezeichneten Charakteren.

Ausgangspunkt ist eigentlich ein Tod im Jugendknast, aber sehr schnell entwickelt sich eine Geschichte, in der es um Dämonen, einen verschwundenen Jugendleiter, der eine sehr ausgefallene Biografie hat, um Medikamente geht, die helfen sollen aber eingesetzt werden, um abhängig zu machen. Es geht um Leben und (häufiger) um Tod, und darum, wie die Lebenden mit vordergründig merk-würdigen Situationen und Konstellationen umgehen: Da wird das Jesuskind einer Madonnen-Figur in einer Kirche fein säuberlich schwarz angemalt. Damit man es nicht mehr erkennen kann? Es gibt eine Krypta und Geheimgänge, und man lernt, was eine „Piscina“ ist, die früher dazu benutzt wurde, verdorbenen Messwein und Hostien zu entsorgen, d.h. Mutter Erde wieder zuzuführen („heiliger Mülleimer“), jetzt aber als Leichendeponie missbraucht wird. Alles ziemlich schräg, aber durchaus von dieser Welt, weil die Charaktere zwar skurril erscheinen, bei genauerem Hinsehen (oder Lesen) aber vieles mit real Lebenden gemein haben (nicht nur den pfälzer Dialekt). Und die Guten sind nicht immer die Guten – und umgekehrt.

Und ja, es sind neben der Story die Charaktere, die dem Buch die Farbe verleihen: Der überzeugt, aber unaufgeregt gendernde Kriminaltechniker, der von der „Einbrecherperson“ spricht („vielleicht weil er nicht gewohnheitsmäßig sprach, sondern immer vorher nachdenken musste“); einen zutiefst frustrierter Polizeibeamter, der zurückgepfiffen wird, weil er für den aktuellen Fall nicht christlich genug erscheint; ein tätowierter Sozialarbeiter mit undurchsichtiger Vorgeschichte, der nicht weiter befragt werden kann (weil er … ?); der frisch getrennte Chef der Kommissarin, der plötzlich auf dem Dachboden der Kommissarin zusammenbricht ; eine gottlose Reinigungskraft, die in der Kirche putzt („esoderische Butzfraa“) und „oh Göttin“ stöhnt, wenn sie etwas überrascht; die Mutter eines (angeblich) sehr kranken junge Mannes, der unter Hypophosphatasie leiden soll (in Wirklichkeit aber… – das wird hier nicht verraten…) und die ausgerechte Rotas heißt[2] und um deren Ehe es (auch) geht; eine Polizeibeamtin, die als Berufsanfängerin, die unberechtigt in einem anderen Bundesland recherchiert, aber dadurch wesentliche Hilfe zur Aufklärung des Falles leistet und natürlich die Protagonistin Bettina Boll, die es zwischen ihren Kindern und ihrem Job hin und her treibt.

Die Verlegerin Else Laudan kommentiert das Buch so:

»Bettina Boll vom Ludwigshafener K11 ist seit langem daran gewöhnt, sich quer zur Konvention durchzuwurschteln: als Mordermittlerin, als Halbtagskollegin, als Teenagermutter – und neuerdings auch als Bewohnerin eines uralten Hauses, das sie abwechselnd mit seinem Charme einlullt und mit dunklen Schatten aus der Vergangenheit bedroht. Ihr Bauchgefühl sagt, Aufräumen hilft auch gegen Gespenster, und Spirituelles ist eh nicht so Bettinas Ding. Aber ausgerechnet darum geht es bei dem seltsamen Fall, den ihr Willenbacher als neuer Dienststellenleiter jetzt ans Bein bindet: um Glauben. … In der momentanen Jetztzeit voll verdrängter Erkenntnisse, Inbrunst und Vertrauensschwund bei gleichzeitigem Informationsoverkill gelingt Monika Geier ein fein ziselierter, stimmungsvoll bildhafter und höllisch gewiefter Kriminalroman über Glaube und Bedeutung. Sie gewährt Einblick in die Abgründe ewiger An­sprüche, tiefer Konflikte und ganz normalen Irrsinns, und wie immer sind ihre Charaktere von furioser Präsenz – mit oder ohne Dämonen. In diesem Buch steckt unsere ganze Kultur drin, unsere ganze Ära samt Herkunft, Verknöcherungen und Verbiegungen. Und mein Lichtblick im Labyrinth trägt einen orangen Gartenpulli.“

Als ehemaliger Messdiener ist mein „Lichtblick“ natürlich das Loch in der Wand der Sakristei – was es damit auf sich hat, wird aber hier nicht verraten.

Thomas Feltes, Juli 2024

[1] Eine Vergiftung mit Mutterkorn führt zum Krankheitsbild Ergotismus, das auch Antoniusfeuer genannt wird.

[2] Ein gläubiger Katholik, der seine Ehe annullieren lassen will, muss in letzter Instanz die „Sacra Rota“, auch „Römische Rota“, anrufen.