Heimann, Rudi[1]: Handbuch Stabsarbeit der Polizei. Führung und Einsatz[2], Auflage 2024, ISBN 978-3-415-07613-6, 312 Seiten, Boorberg Verlag, Stuttgart, 39.- €
Nicht nur die Polizei, die durch regelmäßige „knifflige“ BAO-Lagen, zumeist geführt und erfolgreich bewältigt als Stabseinsätze, gemeinhin viel Erfahrung mit der Arbeit in Führungsstäben hat, sondern alle anderen BOS sind dabei gefordert. Umso wichtiger ist die frühzeitige gedankliche und fachliche Auseinandersetzung mit der Thematik „Stabseinsatz“, wozu das vorliegende Handbuch einen sehr beachtenswerten Beitrag leistet. Obgleich der Schwerpunkt dabei titelgebend auf der polizeilichen Stabsarbeit liegt, finden sich dennoch auch für andere BOS wertvolle Hinweise.
Bei der Zeitungslektüre, dem Konsum von Nachrichtensendungen und -formaten oder einfach via kurze Push-Nachricht aufs Mobiltelefon oder Tablet gewinnt man als Bürger den Eindruck, dass ein(e) sicherheitsrelevante(s) Großereignis[3], -schadenslage, Katastrophe[4] bzw. lebensbedrohliche Einsatz- bzw. Bedrohungslage[5] das / die nächste jagt. Das (nicht selten überregionale / Landkreis- bzw. sogar Länder übergreifende) Ausmaß der Sicherheitsstörungen / Gefahrenlagen und dabei tangierte vielgestaltige komplizierte (rechts-)tatsächliche Kompetenz- und Zuständigkeitsregeln erfordern eine(n) regelmäßige(n) Institutionen übergreifende(n) Austausch, Einsatzvorbereitung und -durchführung in (nicht selten gemeinsamen) Führungsstäben, einerseits „als temporäre Unterstützungselemente zur Beratung und Unterstützung des Linienvorgesetzten“ (S. 11), andererseits aber natürlich primär als Unterstützungsorgan des jeweiligen gesamteinsatzverantwortlichen Polizeiführers.
Nachdem sich Heimann bereits als Autor und Mitherausgeber (zusammen mit Gesine Hofinger[6]) des aus den Erkenntnissen einer Workshop-Reihe „Führen in und mit Stäben“ entstandenen „Handbuchs Stabsarbeit. Führungs- und Krisenstäbe in Einsatzorganisationen, Behörden und Unternehmen“[7] sowie in einem Sammelbandbeitrag[8] ausgiebig mit der Thematik der Funktion und Arbeitsweise von Führungsstäben aus verschiedenen Perspektiven beschäftigt hat, schreibt er seine Erfahrungen mit diesem Thema nun im aktuellen Handbuch als Autor gewohnt fundiert und ansprechend präsentiert fort.
Die Neuauflage umfasst sieben thematische Kapitel[9] (vgl. Fn. 2 – Link zum Inhaltsverzeichnis) und ein kurzes Kapitel VIII, in welchem ein stichpunktartiges Muster einer Stabsdienstordnung präsentiert wird. Abschließend enthält das Buch, neben dem ergänzend zur Anknüpfung an zusätzlich aufschlussreiche Quellen beachtlichen Literaturverzeichnis, ein 32-seitiges Glossar gebräuchlicher taktischer Grundbegriffe aus der „BOS-Sprache“. Das ist gut, denn begriffliche / semantische Klarheit ist für ein tieferes Verständnis der Stabsarbeit und damit für den Einsatzerfolg essentiell.
Aus polizeilicher Sicht interessant ist bereits der (historische) Einstieg in das Buch mit der Darlegung der Entstehungsbedingungen, der taktischen Gliederung und Einsatzgrundsätze polizeilicher Führungsstäbe (Kap. 1.3.4) vor, vor allem aber seit der Einführung der 1975 neu geschaffenen und bundesweit gültigen Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 VS/NfD in mehreren Schritten (1979 & 1999) bis zur aktuell gültigen Fassung der PDV.
Es folgen – sachlogisch – einige wenige und grundsätzlich gehaltene aufbau- und ablauforganisatorische Erläuterungen, bevor der Stab als Führungsorgan in den drei typischen polizeilichen Organisationsformen als a.) „Leitstelle“ (in der AAO als 24/7-Einsatzzentrale [EZ] zumeist dienst- und fachaufsichtlich innerhalb der Einsatzabteilung des jeweiligen Polizeipräsidiums / der -direktion angesiedelt), b.) „Führungsgruppe“ und c.) „Führungsstab“ (b. / c. i. d. R. als vorgegliederte Aufruforganisation in BAO-Lagen, lit c. mindestens auf Direktions- bzw. Präsidialebene, lit. b in BAO-Lagen zunächst in der „Chaosphase“ des Einsatzes unter Leitung der EZ, ggf. – wenigstens innerhalb personalstarker regionaler Polizeiverbände – auch durch sogenannte Polizeiführer vom Dienst (PvD), danach auf Einsatzabschnittsebene im „Stabs-/Linienmodell“ nach Einsatzführungsübernahme des Stabes, alltagstheoretisch jedoch bis auf Dienstgruppenebene des Wach- und Streifendienstes) mit deren wesentlichen Eigenheiten und situativen Vorteilen skizziert wird. Hierzu gehört auch die detaillierte gut 28-seitigge Beschreibung und Aufgabenverteilung sowie die Darstellung elementarer Schnittstellen der in den allermeisten BAO-Lagen typischerweise aufgerufenen Stabs- und Sachbereiche inklusive der einsatztypischen (internen wie auch externen) Verbindungskräfte, Berater und Fachdienste innerhalb des Führungsstabs. Das aufbau- und ablauforganisatorisch informationsreiche Kapitel II wird abgeschlossen mit jeweils kurzen Darlegungen zur Frage „temporärer bzw. ständiger Stäbe“ (Kap. 2.8) und zu in der Regel bei planbaren, hochkomplexen Einsatzlagen mit einer hohen Anzahl von „benachbarten Kräften“ bereits weit vor dem eigentlichen Einsatzgeschehen aufgerufener „Vorbereitungsstäbe“ (Kap. 2.9). Nicht nur an dieser Stelle (vgl. auch Kap. 7) wird zurecht auf die Notwendigkeit (regelmäßiger) (Stabsrahmen-) Übungen (S. 76) vor Beginn des eigentlichen Einsatzes hingewiesen. Die hochkomplexen Informationsgeflechte innerhalb eines Führungsstabes und deren sachgerechte Dokumentation erfordern von jedem Sachbearbeiter / jeder Sachbearbeiterin im Stab eine ausgeprägte Rollenidentifikation und Kommunikationsfähigkeit, die beständig trainiert sein will.
Nach den notwendigen aufbau- und ablauforganisatorischen Grundlegungen des Kapitels II beschreibt Heimann im folgenden Kapitel auf 38 Seiten unter dem Titel „Einsatzbedingungen des Stabes“ prägnant aber dennoch anschaulich und einprägsam unter Bezug auf die einsatztypischen Einflussfaktoren „Lage“, „Gruppe“ und „Individuum“ sowohl die BAO-typische Lage-Dynamik und die dabei im Stab geordnet und zielgerichtet zu verarbeitende Informationsfülle als auch typische individuelle (ggf. stressbedingte) Wahrnehmungsgrenzen und hieraus ggf. entstehende Irrtümer sowie vielfältige gruppendynamische Prozesse und Modelle innerhalb des Stabes selbst, jeweils beispielhaft mit daraus ggf. erwachsenden erfolgskritischen Implikationen. Ein versierter Polizeiführer (PF) / Leiter Führungsstab (LF, als Vertreter des PF), aber auch erfahrene Stabsbereichsleiter (StBL) kennen und berücksichtigen daher stets die individuellen Stärken und Schwächen ihrer bewährten regelmäßigen Stabsmitarbeiter(innen) innerhalb des strukturellen Rasters des „Dürfens“ (vgl. Abb. 15, S. 104) und der individuellen Raster des „Könnens“ und „Wollens“ (vgl. Abb. 16 und 17, S. 105f.) und nutzen damit die volle individuelle Leistungsfähigkeit der Teammitglieder als Gruppe für den angestrebten Einsatzerfolg. Auch hierbei steht wieder unter dem Label des skizzierten „Team-Mental-Modells“ (S. 106) mindestens (implizit) das (nur) aus regelmäßigen „Stabsrahmen-) Übungen erwachsende Erfahrungswissen der Gruppe im Fokus. Das Kapitel schließt unter der Überschrift „Gegenmaßnahmen“ mit einem prägnant formulierten „Potpourri“ möglicher individueller und struktureller Abhilfemaßnahmen, um störende erfolgskritische Implikationen zu vermeiden. Interessant finde ich hierbei den Gedanken eines möglichst von sonstigen Aufgaben freigestellten „kritischen Beobachters“ (S. 113) im Stab. Es gibt zwar naturgemäß verschiedene im Stabsbereichsmodell angelegte Qualitätssicherungselemente, z. B. – aber nicht nur – die Funktion des LZ 03 im Lagezentrum (LZ), aber eigentlich keine strukturell angelegte stabsbereichsübergreifende Qualitätssicherungsmaßnahme. Auch der LF ist aufgrund seiner Aufgabenfülle dazu kaum in der Lage.
Keinesfalls fehlen dürfen natürlich detaillierte Ausführungen zum erfolgskritischen „Planungs- und Entscheidungsprozess“ (PEP), sowohl für planbare „Zeit-“ als auch modifiziert für „Sofortlagen“ (Kap. IV). Dieses Kapitel ist besonders wichtig und daher mit mehr als 100 Seiten auch besonders umfangreich angelegt. Den PEP legt der Autor – eingangs zur Unterstützung der Übersichtlichkeit der Ausführungen – in Form eines „kybernetischen Regelkreismodells“ mit den hierbei in der PDV 100 vorgesehenen einzelnen Schritten, u. a. auch unter Berücksichtigung wichtiger Einsatz- und Führungsgrundsätze, grafisch dar (Abb. 20, S. 119). Im Anschluss skizziert er – z. T. beispielhaft unter Darlegung von „Störfällen“ – wesentliche Inhalte der einzelnen Schritte des PEP. Hierzu liefert er für nahezu alle Ebenen dieser Entscheidungsmatrix kurze methodische Hilfestellungen / hilfreiche Vorschläge geeigneter Arbeitstechniken. Das zentrale Kapitel schließt mit der Darstellung einer in jedem Fall zwingend erforderlichen strukturierten Einsatznachbereitung (Kap. 4.10). Diese ist nicht nur die beste Vorbereitung für den nächsten Stabseinsatz, sie dient auch dem Aufbau einer konstruktiven innerbehördlichen Fehlerkultur. Heimann merkt abschließend aber zurecht an, dass „der Versuch, Stabsarbeit (Einsatz übergreifend) zu messen und vergleichbar zu machen“ aufgrund der jeweils unterschiedlichen Komplexität der Einsatzanlässe empirisch schwierig sei. Dennoch ließen sich „sehr wohl Ableitungen aus den Zusammenhängen zwischen Informationsumsatz, subjektivem Stressempfinden und der Anzahl ggf. verlorengegangener Weisungen“ treffen und daraus Beobachtungen generieren, „ob die Mitarbeiter(innen) des Stabes ihre handwerklichen Fähigkeiten beherrschen (…).“
Das Buch schließt mit drei jeweils kurzen, gleichwohl im Gesamtzusammenhang bedeutsamen Kapiteln:
Kap. V – zur Ausgestaltung und Einrichtung sowie zur notwendigen Ausrüstung mit Führungs- und Einsatzmitteln von (mobilen, abgesetzten oder stationären) „Befehlsstellen“ (9 Seiten) für die erfolgreiche Arbeit von Führungsstäben.
Kap. VI – zur Personalgestellung und ausreichenden -bemessung unter Zugrundelegung idealtypischer individueller Kompetenz- und Wissensraster (11 Seiten).
Kap. VII – zur Notwendigkeit von regelmäßigen Übungen zur Stärkung individueller und stabsstruktureller Fertigkeiten in verschiedenen Trainingsformaten (12 Seiten)
Heimann legt mit seinem Handbuch ein sachlogisch gegliedertes, ansprechend formuliertes, modern gestaltetes, faktenreiches und daher sowohl für erfahrene Sachbearbeiter(innen) wie auch Führungskräfte (PF, LF, StBL) als auch für die Aus- und Fortbildung von neuen Stabsmitarbeiter(innen) – auch hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses – gelungenes und deshalb rundum empfehlenswertes Kompendium zur polizeilichen Stabsarbeit vor. Auch wenn das Buch im Titel das Label „Polizei“ trägt, können auch andere BOS daraus wichtige Erkenntnisse für eigene originäre / gemischte Einsatzanlässe ableiten. Ich wäre jedenfalls froh gewesen, hätte ich ein derart ansprechendes, gehaltvolles Werk zur Vertiefung und Abrundung eigener Erkenntnisse aus diversen Stabslehrgängen und zur Nachbereitung individueller Einsatzerfahrungen bzw. zur Vorbereitung von Übungen zur Verfügung gehabt.
Holger Plank (im Juli 2024)
[1] Vizepräsident des Hessischen Landeskriminalamtes.
[2] Siehe Verlags-Website mit Inhaltsverzeichnis.
[3] Zuletzt bspw. die EURO 2024 oder der G7-Gipfel 2022 im bayerischen Elmau etc.
[4] Wie zuletzt die aufgrund des Klimawandels häufigeren Hochwasser- und Überschwemmungslagen oder Flächenwaldbrände in zahlreichen Bundesländern.
[5] Terroranschläge, Amoktaten, bewaffnete Auseinandersetzungen von verfeindeten Gruppierungen im öffentlichen Raum u. a. immer häufiger unter Einsatz von Schusswaffen etc.
[6] Diplompsychologin, Gründerin und Partnerin von „Team HF“ und seit November 2023 Professorin für Psychologie im Bevölkerungsschutz an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin.
[7] Erschienen im Springer Verlag, 1. Auflage 2016 (vgl. Besprechung von Reinhardt im PNL) 2. Auflage 2022.
[8] Mit dem Titel „Polizeiliche Stabsarbeit. Erfordernisse für die Zukunft“, in: Wehe / Siller (Hrsg.), „Handbuch Polizeimanagement. Polizeipolitik – Polizeiwissenschaft – Polizeipraxis“, 2023, S. 739-761.
[9] Kap. I – (Historische) Entwicklung des Stabsbegriffs; Kap. II – Der Stab in der Organisation; Kap. III – Die Einsatzbedingungen des Stabes; Kap. IV – Planungs- und Entscheidungsprozess; Kap. V – Befehlsstellen; Kap. VI – Personal und Kap. VII – Übungen.