Hollow Skai, Die Toten Hosen (2007). Rezensiert von Thomas Feltes

Hollow Skai, Die Toten Hosen. Hannibal Verlag, A-6600 Höfen, 2007, ISBN 9783854452812, 184 S., (nur noch antiquarisch verfügbar).

Normalerweise stellen wir hier nur Neuerscheinungen von Büchern vor. Normalerweise. Aber was ist in diesen Zeiten noch normal? Im Oktober 2024 wurde mit dem Staatspreis die höchste Auszeichung des Landes NRW an die „Toten Hosen“ verliehen „für ihren prägenden Einfluss … auf den gesellschaftlichen Diskurs und die kulturelle Landschaft in Nordrhein-Westfalen“. Eher zufällig fand ich den hier vorgestellten Band über die „Toten Hosen“ in meinem Bestand – und darin einige Passagen, die wert sind, vorgestellt zu werden. Nicht nur weil darin beschrieben wird, warum Herbert Grönemeyer mit Haschisch nichts anfangen, Udo Lindenberg „vertrocknet“ ist und ein Gitarrist der Hosen zu den Zeugen Jehovas konvertierte.

Wer sich die Musikszene heute ansieht, der muss feststellen, dass Konzertkarten astronomisch teuer geworden sind, was aber der Nachfrage offensichtlich keinen Abbruch tut. Sicher, es gibt auch eine Szene mit Bands, die heute ebenso unbekannt sind, wie es die Hosen zu Beginn ihrer Karriere waren. Aber ist die Szene von heute mit der von damals vergleichbar? An einigen Passagen und Beschreibungen aus dem Buch von Hollow Skai soll verdeutlicht werden, dass sich nicht nur die Szene, sondern auch unsere Gesellschaft verändert hat.

Von der Keller-Band zu einer der erfolgreichsten deutschen Rock-Formationen – so könnte man die Geschichte der „Toten Hosen“ charakterisieren. Sie haben mit Gerhard Polt und Wim Wenders zusammengearbeitet und viele Nachwuchsgruppe in textlicher wie in musikalischer Hinsicht beeinflusst. Für Uli Hoeneß waren die Toten Hosen einst „der Dreck, an dem unsere Gesellschaft irgendwann ersticken wird“, weil sie mit ihrem Schmählied „Bayern“ dem deutschen Rekordmeister ans Bein gepinkelt hatten. „Doch das hielt sie nicht davon ab, in ausverkauften Fußballstadien oder im altehrwürdigen Wiener Burgtheater aufzutreten, sich im Rahmen von »Live 8« dafür einzusetzen, dass den Entwicklungsländern die Schulden erlassen werden, gegen Ausländerfeindlichkeit zu kämpfen und dabei stets die Punkrock-Fahne zu schwenken. Sie standen zusammen mit AC/DC, U2 und den Stones auf der Bühne und engagierten amerikanische Punk-Bands wie Green Day oder Bad Religion als Vorgruppen. Und zwischendurch veröffentlichten sie krachende Alben, die sich in den letzten fünfzehn Jahren stets ganz oben in den Charts platzieren konnten“.

Dabei fing alles ganz „normal“ an: Mit Gigs in Kellern und Wohnzimmern, und kleinen Auftritten Ende der 1970er Jahre. Reich werden konnte man durch solche Konzerte nicht, die Roadies waren oftmals die einzigen, die bezahlt wurden, und die Schlafplätze, die man ihnen anbot (damals so üblich in der „linken“ Musikszene), waren auch nicht immer toll.

Und vielleicht zerhackte ihr „Gitarrist“ Walter November ja auch deshalb eines Tages all seine Punkplatten und konvertierte zu den Zeugen Jehovas, für die er wenig später auf dem Jubiläumsplatz in Mettmann den Wachtturm verkaufte. Aber das tat dem Ganzen keinen Abbruch. Gespielt wurde in jeder Toilette, die nicht verriegelt war, auch wenn Zeitschriften wie das Ruhrgebietsmagazin Guckloch bemängelten, dass sie sich „erst gar nicht die Mühe geben, ihren Dilettantismus zu verbergen“. In Berlin hatten sie aber auch Mark Reeder, einen Engländer aus dem Umfeld des wahren Heino, kennengelernt, der Kontakte „nach drüben“, in den Ostteil der Stadt, hatte und so den Hosen im März 1983 einen Auftritt in einer Kirche vermittelte, der als „Beatmesse“ getarnt war. Trini Trimpop (geboren übrigens im Sauerland), TF) erinnert sich, dass die Ostberliner Punks nach dem Gebet Pogo tanzten. Trini: „Das war ein ergreifender Augenblick, da hatten wir Tränen in den Augen.

Und wenn es doch mal ein Hotelzimmer gab, dann wurden, so wusste es jedenfalls der Musikexpress, „die Sollbruchstellen des Inventars ebenso gnadenlos strapaziert wie die Kulanz der Haftpflichtversicherung„. Ein damaliger Szene-Zeitschrift-Redakteur meinte: „Ihre Haltung gefällt. Sie sind positiv aufmüpfig. Nicht so vertrocknet wie Udo Lindenberg, nicht von der sozialwissenschaftlichen Fakultät – wie Wolfgang Niedecken.“ Fand er „ihr chaotisches Auftreten noch rundherum dufte“, so fiel ihm das mit ihrer Musik schon schwerer: „Abgesehen davon, dass Punkrock schon längst die Überreife hinter sich hat, sind die Toten Hosen für die große Masse einfach zu wild, zu schnell, zu hart.“ Hollow Skai zitiert dazu Ernst Jandl: Werch ein Illtum!

Später wurden dann immer wieder mal Konzerte kurzfristig in einen weniger schicken Saal verlegt, weil es zuvor bei Auftritten Ausschreitungen gegeben hatte. Rechtzeitig zur sog. „Damenwahl-Tournee“ (1986) kreierte die „am schlechtesten gekleidete Band der Welt ein übel riechendes Parfum und ließ ihre Konzertreise vom Präservativhersteller Fromms sponsern. Das versetzte sie in die Lage, jeden Abend Hunderte von Kondomen ins Publikum werfen zu können und somit ihrem Aufruf zur Massenkopulation im Song „Hofgarten“ Nachdruck zu verleihen“.

Sind solche „Exzesse“ heute aus verschiedenen Gründen kaum noch denkbar, so hat aber Campinos Lebensmotto „Wer bis zum Hals in der Scheiße steckt, sollte nicht den Kopf hängen lassen“ überlebt. Seine Band ließ sich von den sich häufenden Konzertabsagen und anderen Repressalien jedenfalls nicht verschrecken, sondern reiste quer durch die Republik, um in bundesdeutschen Wohnzimmern Geheimkonzerte zu geben, bei denen es meistens drunter und drüber ging.

Wie zum Beispiel im niedersächsischen Beinhorn, wohin sie ein gewisser Barthold Albrecht eingeladen hatte, ein Sohn des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Der hatte sich bei dem oben erwähnten Konzert in der hannoverschen Rotation als Hosen-fan geoutet, woraufhin ihn Campino getröstet hatte: „Mein Alter ist auch in der CDU„“. Hollow Skai beschreibt dann auch ausführlich, wie die Bandmitglieder am nächsten Morgen in dem von Sicherheitsbeamten wie eine Festung gesicherten Haus von „einem feuerroten Gesicht in moosgrüner Jägerkluft“, dem Landesvater persönlich mit den Worten „Raus, jetzt reicht´s“ geweckt wurden, nachdem er ihnen am Vorabend 500.- DM geboten hatte, wenn sie das Haus verlassen. Man übertrage dies einmal auf die Jetztzeit und stelle sich vor, dass die Junior-Toten-Hosen im Privathaus von Kretschmann in Stuttgart oder bei Söder in München spielen und dort Punks in die Blumenbeete pinkeln würden. Undenkbar.

Den mageren Jahren folgten aber fette Ende der 1980er Jahre. „Zum ersten Mal übernachteten sie …  in Hotels, was aber nicht jeder vorbehaltlos begrüßte. Campino fand „privat schlafen“ immer besser, „denn da hast du Menschen kennengelernt, hast in anderer Leute Kühlschränke geguckt und gesehen, wo die ihre Zahnbürsten hintun“. Das Manko der Punkbewegung habe nur darin bestanden, dass zu wenige Kinder reicher Eltern mitgemacht hätten – „sonst hätte man auch mal besser geschlafen„.

Auch dass die Touren und die Klettereien auf der Bühne an Campino nicht spurlos vorbei gegangen sind, wird in dem Buch dokumentiert: „Wie der Musikexpress 2002 unter der Überschrift „Der Mann ist doch krank!“ aufzählte, hatte er sich zuvor bereits diverse Rippen, das linke Wadenbein und die linke Hand gebrochen, die Achillessehne angerissen, das Kinn und die Stirn aufgeschlagen, ein paar Platzwunden am Kopf und Fleischwunden am linken Fuß sowie am rechten Ellenbogen zugezogen und nach Stürzen mehrere Schleimbeutelentzündungen am Ellenbogengelenk auslaborieren müssen. Außerdem vermerkte die medizinische Statistik einen Husten (1983), einen Tripper (1984) und Schweißfüße (1992), und 1988 hatte er sich die Stimmbänder so stark angerissen, dass ihm die Ärzte rieten, seine Sängerkarriere lieber ganz aufzugeben. Nach Rock am Ring dauerte es seine Zeit, bis Campino wieder soweit hergestellt und fit war, dass er auftreten konnte“.

Auch wenn der Geschichte der Band in dem Buch nur ca. 80 Seiten gewidmet sind (ausführlicher hat sich der Autor 2022 mit der Band in dem Buch „Die Toten Hosen. Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ beschäftigt): Jede Seite ist es wert, gelesen zu werden. Dabei werden die echten Fans das Buch sicher kennen, und für allen andere und auch für diejenigen, die nicht der 1950er-Jahre-Generation angehören, ist es zeitgeschichtliche Schmunzel-Lektüre.

Ab S. 82 sind in dem Buch übrigens alle Alben und Musikstücke der Hosen dokumentiert und ihre Entstehungsgeschichte wird beschrieben.

Der Autor, Hollow Skai, geb. 1954, bürgerlicher Name Holger Poscich, studierte Germanistik und Politik. Seine Examensarbeit mit dem Thema Punk wurde im Sounds Verlag veröffentlicht. 1980 gründete er das Punk-Label No Fun Records, von 1986 bis 1989 war er Chefredakteur des Hannover Stadtmagazins Schädelspalter, danach arbeitete er bis 1994 als Kulturredakteur beim Stern. Die erste Bandbiografie schrieb Hollow Skai 1992 über die Scorpions. Er beschäftigte sich mit dem Leben und Werk von Rio Reiser und verfasste eine Biografie über ihn. Hollow Skai arbeitet inzwischen als freier Journalist und Lektor.

 

Thomas Feltes, Oktober 2024