Jannina Schäffer, Harry Potter und die Gesetze der Macht. Rezensiert von Holger Plank.

Jannina Schäffer, Harry Potter und die Gesetze der Macht. ISBN 978-3-8005-1951-4, 550 Seiten, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt a. M., 2024, 49.– €

Wie das Strafprozessrecht als ‚Machtinstrument‘ im Kampf zwischen ‚Gut‘ und ‚Böse‘ missbraucht werden kann am Beispiel der Harry-Potter-Bücher von J. K. Rowling und unter Berücksichtigung des deutschen Strafrechts sowie der Besonderheiten im NS-Staat

Die titelgebend und wegen des dogmatischen Bezugs auf die siebenbändige fantastische Kinder- und Jugendromanreihe „Harry Potter“ als zugrunde liegende (rechtsvergleichende) Fallvignette formgebend besondere Dissertation von Jannina Schäffer[2] wurde von Anja Schiemann (noch) an der Deutschen Hochschule der Polizei[4] betreut. In Deutschland ist der – jedenfalls für eine juristische Diss. – noch eher seltene rechtsvergleichende Aufbau, kategorial an der Schnittstelle „Literatur und Recht“ ansetzende interessante Aufbau der Arbeit zwar anerkannt, wird aber noch eher selten in der Lehre und Forschung praktiziert, wohingegen diese Gattung im anglo-amerikanischen Raum „seit den 1970er Jahren unter dem Namen Law & Literature Movement“[5] als inter­disziplinärer Forschungsbereich zwischen Rechts- und Litera­tur­wissen­schaften allgemein anerkannt ist. Eigentlich schade, denn „Literatur (kann einprägsam und abseits streng juristischer Dog­matik dazu beitragen,) Recht (zu) vermitteln, gesellschaftliche Fragestel­lungen auf(zu)­wer­fen, Regeln in Frage (zu) stellen und dazu beitragen, das Recht weiterzu­entwickeln“, auch wenn hierbei „klassischerweise eher Werke gewählt werden, in welchen es primär um Recht und Gerechtigkeit geht“.[6] Aber, anhand von zahlreichen prozessualen bzw. disziplinarrechtlichen Beispielen aus den Romanen mit der sehr treffenden Bemerkung garniert, „eine kunstvolle Karikatur könne die Wahrheit manchmal besser entblößen als ein sachlicher Leitartikel“, stellt der Kolumnist Steinke zurecht fest, „auch aus magischen Büchern lässt sich viel über die irdische Rechtsprechung lernen“.[7]

Die Autorin forscht in literaturtheoretischer Perspektive zum Aspekt „Unrecht im Recht“[8] und legt hierzu eine fundierte, daher beachtliche „rechtsvergleichende Analyse (…) der rechts­relevanten Aspekte der Harry-Potter-Bücher mit dem aktuellen deutschen Recht sowie der Rechtslage in Deutschland in der Zeit von 1933-1945“ [9] vor und „verbindet so auf innovative Weise Fiktion und Rechts­wissenschaft miteinander.“[10] Sie setzt dabei den Schwerpunkt auf das „Straf­prozess­recht und seine Auswirkungen auf einen demokratischen Staat“. Hierbei interessiert sie im Besonderen die sowohl zeit­geschichtlich als auch in Bezug auf das NS-Unrechtsregime hoch aktuelle Frage, „ob es möglich ist, durch ein fehleranfälliges Justizsystem und die Unterwanderung der bestehenden Strafgesetze eine Demo­kratie zu stürzen und durch die gezielte Schaffung neuer Strafgesetze bzw. straf­prozessualer Möglich­keiten ein Unrechtssystem zu etablieren?“[11] Aktuell ist die Fragestellung schon vor dem Hintergrund der (verfassungs-)rechts­wissen­schaftlichen Debatte relevant, inwieweit sich die in der Diss. herausgearbeiteten Erkenntnisse (nochmals prägnant im Schlusskapitel „Harry Potter und das Fazit“ (S. 469ff.) anschaulich zusammengefasst) ggf. auch für „rechts­politische Impulse (…) zur Gestaltung einer möglichst resilienten Demo­kra­tie“ [12] fruchtbar machen ließen? Schäffer stellt hierzu zwar fest, dass unsere Rechts­ordnung als Reaktion auf den Nationalsozialismus mehr Schutzme­chanismen kennt, bspw. das Mehrparteien­system, den Parlamentsvorbehalt, Gewaltenteilung und die Freiheit der Presse. Auch im Strafrecht gäbe es Mechanismen, die die Rechte der Beschuldigten und Angeklagten vor rassistischen Vorurteilen, vor Vorverurteilung oder vor einer Inhaftierung ohne einen Strafprozess schützen. All dies fehle in der Zauberwelt“[13] der Harry-Potter-Romane. Hierzu gehört insbesondere auch eine „rechtsstaatliche und unabhängige Gerichtsbarkeit“.[14] Nicht nur angesichts der anhaltenden Diskussion um die „Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts“[15] als Schutzschild der Grundrechte durch eine stabilere verfassungsrechtliche Grundlage, so Reisch, sei mit der Forschung Schäffers zu Harry Potter dennoch „Raum für Anschlussforschung eröffnet“. Die über diese implizit kritische Feststellung hinausgehende, bereits kurz vor Erscheinen der Arbeit in den sozialen Netzwerken zu lesende nicht nur vereinzelte Kritik, Schäffer „verharm­lose das NS-Unrecht“ oder, die Anlage der Arbeit sei „Quatschjura“[16], ist angesichts der wissen­schaftlichen Vorgehensweise und der hierdurch zahlreich, gleichermaßen sen­sibel wie kritisch aufgezeigten Parallelen des „magischen Rechts“ in den Ro­manen zur Macht­ergreifung und menschen­verachtenden dikta­torischen Machtausübung Adolf Hitlers in der Zeit zwischen 1933-1945 nicht nachvollziehbar.[17] Zudem, auch aus der Erfahrung eigenen wissenschaftlichen Arbeitens heraus, „es gibt wahrscheinlich kein wissen­schaftliches Nach­denken, das nicht dadurch besser würde, dass man gelegentlich auch mal einen Roman liest“[18] oder einen solchen, wie Schäffer, als fiktive Vignette zur Illustration der eigenen Hypothesen heranzieht. Auch wenn es sich „nicht um eine klassische juristische Arbeit handelt“[19], Schäffer schafft mit ihrer unge­wöhnlichen und schon deshalb sehr lesenswerten rechtsvergleichenden literatur­theoretischen Fallvignette „einen lebendigen, klar strukturierten und (angesichts der genutzten fiktiven Vorlagen) auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit versehenen Zugang zum Recht“[20] [21], interessant nicht nur für Fans der Harry-Potter-Welt, was die inzwischen zahlreichen (zitierten) Besprechungen und Verweise auf Schäffers Arbeit beweisen.

Holger Plank (im Dezember 2024)

[1] Siehe Verlags-Website mit Inhaltsverzeichnis.

[2] Dr. iur. Schäffer, Autorin/Redakteurin beim Verlag Alpmann Schmidt, Lehrbeauftragte für Strafrecht an der FernUni Hagen; berufsbegleitende Promotion (2024) an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol).

[4] https://www.dhpol.de/forschung/promotion/promotion.php (letzter Zugriff: 01.12.2024).

[5] Schäffer, 2024, S. 3; vgl. Seaton, 1999 (11), S. 479ff., letzter Zugriff: 01.12.2024.

[6] Schäffer, in „beck-aktuell“ (08.07.2024) mit beispielhaftem Verweis auf Kafkas „Der Prozess“ (letzter Zugriff: 01.12.2024).

[7] Steinke, SZ, Kolumne „Muggelwissenschaft“ vom 27.09.2024, letzter Zugriff: 01.12.2024.

[8] Schäffer, in „beck-aktuell“ (08.07.2024), letzter Zugriff: 01.12.2024.

[9] Schäffer, 2024, S. 9.

[10] Schäfer-Jasinski, Rezension vom 09.10.2024, letzter Zugriff: 01.12.2024.

[11] Schäffer, 2024, S. 9.

[12] Reisch (31.07.2024) auf lto.de mit weiteren Nachweisen (letzter Zugriff: 01.12.2024)

[13] Schäffer, in „beck-aktuell“ (08.07.2024), letzter Zugriff: 01.12.2024.

[14] Bode, im Blog „Harry Potter und der Polizeistaat“ (01.08.2024), letzter Zugriff: 01.12.2024.

[15] BMJ, Pressemitteilung vom 23.07.2024 (letzter Zugriff: 01.12.2024)

[16] Reisch (31.07.2024) auf lto.de.

[17] Schäfer-Jasinski stellt dazu in ihrer Rezension vom 09.10.2024 mE zutreffend fest: „Einige halten es für unangemessen, die fiktionalen Ereignisse aus der Harry-Potter-Reihe mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust zu vergleichen. Schäffer geht jedoch mit großer Sorgfalt und Sensibilität an das Thema heran. Ihre Arbeit verschmäht den Holocaust keineswegs, sondern nutzt die Parallelen, um eine moderne Form der Aufklärung zu bieten. (…) Hierdurch leistet sie einen wertvollen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis und zur Erinnerungskultur (…)“, letzter Zugriff: 01.12.2024.

[18] Steinke, SZ, Kolumne „Muggelwissenschaft“ vom 27.09.2024, letzter Zugriff: 01.12.2024.

[19] Schäfer-Jasinski, Rezension vom 09.10.2024, letzter Zugriff: 01.12.2024.

[20] Blitz in Blog der Bayreuther Zeitschrift für Rechtswissenschaft (29.08.2024), letzter Zugriff: 01.12.2024.

[21] Schäfer-Jasinski, Rezension vom 09.10.2024, letzter Zugriff: 01.12.2024.