Jörn Patzak, Jochen Fabricius, Betäubungsmittelgesetz. 11. Auflage 2024, ISBN 978-3-406-80779-4, 2.810 Seiten, C. H. Beck Verlag, München, Reihe Beck’sche Kurzkommentare, Band 37, 149.– €
Der von Körner begründete, in der aktuellen 11. Auflage von Jörn Patzak, Jochen Fabricius und Felix Huth bearbeitete Beck’sche „Kurzkommentar“ zum Betäubungsmittelgesetz beinhaltet eine ausführliche Neukommentierung des Artikelgesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung wieterer Vorschriften („Cannabisgesetz – CanG“), BGBl I, Nr. 109 vom 27.03.2024[6], mit welchem der bisherige weitgehend prohibitive Umgang mit dem Suchtmittel Cannabis / Marihuana (in Form des „Konsumcannabisgesetzes“, KCanG, vgl. Art. 1 des CanG) modifiziert / teillegalisiert worden ist. Damit sind weitreichende Änderungen wesentlicher Begleitvorschriften, u. a.
- des „Medizinal-Cannabisgesetzes“ (MedCanG), vgl. Art. 2 des CanG,
- des „Betäubungsmittelgesetzes“ (BtMG), vgl. Art. 3 des CanG, hier vor allem durch eine neue Nummer 5 in der Strafvorschrift des § 30 Abs. 1 und der Anl. I, II und III zum BtMG,
- der „Betäubungsmittel-Verschreibeverordnung“ (BtMVV), Art. 4 des CanG,
- des „Arzneimittelgesetzes“, Art. 7 CanG,
- des „Strafgesetzbuches“ und des „EGStGB“, Art. 12, 13 CanG,
- der „Strafprozessordnung“, Art. 13a CanG,
- der „Fahrerlaubnisverordnung“ (FeV), Art. 14 CanG bzw.
- des „Gerichtsverfassungsgesetzes“ (GVG), Art. 14a CanG
verbunden.
Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 (S. 68) beschlossen: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften ein. (…). Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf „gesellschaftliche Auswirkungen.“ Nach einer ausführlichen gesundheits- und kriminalpolitischen Diskussion manifester Problemstellungen iZm internationalen Übereinkommen und europarechtlichen Implikationen, einigte sich die Koalition schließlich auf das sogenannte „Zwei-Säulen-Modell“. In einer ersten Säule sollte zunächst der „Anbau in nicht-gewinnorientierten Vereinigungen und der private Eigenanbau bundesweit (unter bestimmten Bedingungen) ermöglicht werden.“ Dies ist mit dem CanG vom 27.03.2024 (dort insbesondere §§ 3, 4, 9, 11, 16, 17 KCanG) beginnend ab dem 01.04.2024 in mehreren weiteren Schritten (01.07.2024, 01.01.2025, vgl. Art. 15 CanG) überwiegend erfolgt. In einer zweiten Säule sollte „in ausgewählten Regionen fünf Jahre ein wissenschaftlich konzipiertes Modellvorhaben umgesetzt werden. Dabei sollte Unternehmen – in einem lizensierten und staatlich kontrollierten Rahmen – die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe von Genusscannabis ermöglicht werden“ (ebd.). Aufgrund des Scheiterns der Koalition am 06.11.2024 wird diese zweite Säule in der laufenden Legislaturperiode bis 23.02.2025 aufgrund fehlender Mehrheiten im Bundestag nicht mehr umgesetzt werden können. Die CDU/CSU will nach „einer gewonnenen Bundestagswahl (gar) das CanG rückabwickeln“. Als Gründe werden hierfür aufgeführt: Die „Cannabis-Legalisierung ignoriere die gesundheitlichen Risiken des Konsums und werde dem Kinder- und Jugendschutz nicht gerecht (ebd.).“ Nicht zuletzt die dogmatischen Unschärfen bei der „handwerklichen“ Umsetzung der ersten Säule durch den Bundesgesetzgeber führten erstens jedenfalls bisher zu einer Verfehlung der selbst gesetzten Ziele sowie zu einer föderal uneinheitlichen Rechtsanwendung beim Vollzug des Gesetzes und – je nach politischer Couleur in den Ländern – zur Statuierung zusätzlicher, z. T. über die bundesgesetzlich statuierten Bedingungen bei der Gründung von Anbauvereinigungen und beim Umgang / Konsum hinaus gehende Erschwernisse, so die Kritiker. So fährt bspw. Bayern derzeit wohl die härteste Linie gegen die bundesrechtliche Teillegalisierung im Reigen der Bundesländer. So hat das zuständige Bayerische Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention als erstes Ministerium auf Länderebene bereits am 25.03.2024 (mit Wirkung zum 01.04.2024) einen „Bußgeldkatalog ‚Konsumcannabis‘“ mit teilweise empfindlichen Bußgeldern für die ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verstöße gegen das KCanG (§ 36) bekannt gegeben. Zudem hat Bayern sein Landes-Gesundheitsschutzgesetz zum 01.08.2024 mit einem „Bayerischen Gesetz zur Begrenzung der Folgen des Cannabiskonsums“ (Bayerisches Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz) erweitert und damit den u. a. in § 5 des KCanG geregelten erlaubten Umgang / Konsum präzisiert, z. T. sogar über den dortigen Regelungsinhalt hinaus erweitert. Aufgrund fehlender bundesrechtlicher Verordnungsermächtigung, so die Kritiker dieser landesrechtlichen Regelung, hat ein parteiübergreifendes Bündnis hiergeben Anfang Oktober 2024 eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichthof erhoben. Zuletzt wurde in Bayern – im Gegensatz zu anderen Bundesländern (Stand 15.10.2024) – noch keiner der bislang beim zuständigen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit landesweit vorliegenden 26 Anträge auf Genehmigung eines Cannabis-Anbauvereins genehmigt. Jüngst wurde aus satzungsrechtlichen Gründen sogar die erste „Versagung der Erlaubnis nach dem Konsumcannabisgesetz“ ausgesprochen (Stand 26.11.2024).
Dieser kurze Ausflug in die Länderzuständigkeit bei der Umsetzung bundesrechtlicher Regelungen auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1, 19, 22 GG), hier am Beispiel Bayerns, ist nötig, um die Auslegungs- und Rechtsanwendungsproblematik und (ggf. un-)zulässige Auslegungsspielräume, die durch die dogmatischen Unschärfen des Bundesgesetzgebers im justiziellen und föderalen Kontext entstanden sind, beispielhaft darzulegen. Das macht eine praxisgerechte Kommentierung mancher Neuregelung im Einzelfall schwierig, wie (nicht nur) das Beispiel der jüngeren (gewohnt restriktiven) Rechtsprechung zur „nicht geringen Menge“ (vgl. §§ 34 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3, 4 KCanG) durch den BGH[7] und die hierzu veröffentlichte Kritik[8] zeigt. Schon deshalb ist die fachkompetente Darlegung und Kommentierung der Neuregelung und der Judikatur, wie sie Patzak, Fabricius und Hutz in gewohnt hervorragender Weise in der 11. Auflage ihres Standardkommentars (erschienen im August 2024) fachkundig garantieren, gerade in der Anfangsphase nach Inkrafttreten der umfangreichen Neuerungen so bedeutsam.
Die Einarbeitung der sich vermutlich zügig fortentwickelnden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zur neuen Materie (CanG) und zu den Übergangsvorschriften (§§ 316p, 313 EGStGB) wird aber wohl eine zügigere Neukommentierung (in 12. Auflage) erfordern. Darauf darf man angesichts der wiederum herausragenden Qualität der aktuellen Auflage schon gespannt sein. Der Kommentar gehört zwingend in jedes gut sortierte fachjuristische / kriminalwissenschaftliche Bücherregal.
Holger Plank (im Dezember 2024)
[1] Harald Körner war OStA bei der StA Frankfurt a. M. und Leiter der Hessischen Zentralstelle für die Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität bei der GenStA Frankfurt a. M.
[2] Leitender Regierungsdirektor und Leiter der JVA Wittlich, Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier.
[3] Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a. M.
[4] Staatsanwalt bei der Zentralstelle für Dopingdelikte bei der StA Zweibrücken.
[5] Siehe Verlags-Website mit Inhaltsverzeichnis; kommentiert werden – neben dem Paradigmenwechsel in der staatlichen Drogenpolitik nach Inkrafttreten des CanG mit seinen zahlreichen Folgeänderungsgesetzen – in bewährter Weise die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Grundstoffüberwachungsgesetzes, das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz etc. (Rechtsstand BtMG, BtMVV, KCanG, MedCanG April 2024, die übrigen Gesetze 15.02.2024).
[6] Geä. durch „Gesetz zur Änderung des Konsumcannabisgesetzes und des Medizinal-Cannabisgesetzes“ (KCanGuaÄndG), BGBl. 2024 I Nr. 207 vom 25.06.2024. Aufgrund des Fehlens einer THC-Höchstgrenze iZm dem Führen eines Kfz wurde zudem eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (§ 24a Abs. 1a neu), BGBl. 2024 I, Nr. 266 vom 21.08.2024 nötig.
[7] Vgl. BGH, Beschluss vom 18.04.2024 – 1 StR 106/24; BGH, Beschluss vom 23.04.2024 – 5 StR 153/24; BGH, Urteil vom 29.10.2024 – 1 StR 276/24 zur Addition großer Cannabismengen bei Aufbbewahrung an verschiedenen Wohnsitzen;
[8] Von der BRAK in einer Stellungnahme als „Wertungswidersprüche“ bezeichnet (vgl. BRAK, Stellungnahme Nr. 56 vom August 2024, S. 4); Grubwinkler bezeichnet die bislang hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung gar als „verfassungswidrig“.