Yascha Mounk, Das große Experiment. Wie Diversität die Demokratie bedroht und bereichert. Rezensiert von Thomas Feltes

Yascha Mounk, Das große Experiment. Wie Diversität die Demokratie bedroht und bereichert. Droemer-Verlag München 2022, 352 Seiten, ISBN 978-3-426-27850-5, 22.- Euro (gebunden), 19,99 Euro (e-book)

Kann Demokratie in einer diversen Gesellschaft funktionieren? Dieser Frage geht der Autor nach – auch und besonders vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich Gesellschaften mit Diversität historisch betrachtet immer schwergetan haben bzw. es (noch) keine wirklich diversen Gesellschaften gab. Gleichzeitig zeigt er aber auch die Wege zu einer solchen Gesellschaft auf.

Aber Yascha Mounk zeigt, wie dieses Experiment gelingt. Er liefert – so der Verlag – „die Gebrauchsanweisung für unsere plurale Gesellschaft“. Auch wenn man dieser etwas hochgegriffenen Formulierung nicht folgen will, so ist das Buch in höchstem Maße lesenswert – auch und besonders, weil es mit einer recht schonungslosen Analyse dessen beginnt, was unsere Gesellschaft derzeit prägt. Und nicht umsonst spielen die Begriffe „Experiment[1] und „Austausch“ dabei eine wichtige Rolle. Insofern ist dieses Buch quasi die theoretische Grundlage für die Konsequenzen, die wir aus der aktuellen Analyse zur „Machtübernahme“ durch rechte Parteien, die Arne Semsrott vorgelegt und beschrieben hat, was passiert, wenn Rechtsextremisten das regieren (die Besprechung dieses Buches findet sich hier) – und das Buch von Semsrott die deutliche Mahnung, wie weit es bereits in Deutschland gekommen und wie weit es noch kommen kann, wenn wir Mounks Ratschläge nicht schnellstens beachten und umsetzen.

Mounk hatte bereits 1999 in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht“ deutlich gemacht, dass unsere Demokratie zu sterben droht. Politikverweigerung und rechtspopulistische Parteien untergraben seit geraumer Zeit in Europa und auch in Deutschland bis dato stabile Regierungen. In diesem Buch hatte Mounk Gründe und Mechanismen dargestellt, die westliche liberale Rechtsstaaten – so auch die USA unter Donald Trump – erodieren lassen und zu einem Zerfall bürgerlicher Parteien führen.

In dem aktuellen Buch geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Diversität und Demokratie. Diversität ist so etwas wie das rote Tuch der Rechten, und eine der ersten Handlungen von Trump war die flächendeckende Streichung von Programmen für Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion. Diskriminierung dürfte in den USA wieder gesellschaftsfähig werden.

Globalisierung, Migration und Identitätspolitik prägen aber vor allem Deutschland und stellen das politische System vor ungeahnte Herausforderungen. Wie kann eine demokratische Verfassung die sozialen und politischen Zentrifugalkräfte einer multiethnischen Gesellschaft einhegen, ohne dabei die liberale Idee zu verraten? Mounk zeigt die Hindernisse, auf die das „Experiment“ (sic!) einer diversen Gesellschaft trifft und zeigt aber auch, wie eine intakte multiethnischen Demokratie erreichbar ist und wie sie funktionieren kann.

Yascha Mounk, geboren in München, ist Politikwissenschaftler und Associate Professor an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, untersucht zunächst, woran multiethnische Gesellschaften scheitern und warum ein „Weiter so!“ nicht reicht. In einem zweiten Schritt legt er dar, was die Grundpfeiler einer diversen Demokratie sind und lotet das Verhältnis von Individualismus und Gemeinschaft aus. Schließlich schildert Mounk, warum es sich lohnt, das große Experiment zu wagen und warum die Antwort auf die Herausforderung Diversität nur die liberale Demokratie sein kann. Denn bei allen Unterschieden kommt es am Ende auch in einer vielfältigen Demokratie auf die Gemeinsamkeiten an.

Mounks Buch beginnt damit, dass er das „Unbehagen an der diversen Demokratie“ ausführlich beschreibt (S. 11 ff.) und erläutert, dass Diversität bislang in Gesellschaften eher ein Stolperstein war, weil sie oft (immer?) zum Konflikt führt. Es gibt also „gute Gründe für die Sorge, das große Experiment könnte misslingen“ (S. 25).

Nachdem Mounk dies ausführlich dargestellt hat (und dieser Teil des Buches ist ebenso notwendig wie wenig erfreulich zu lesen, weil er uns die aktuellen Probleme klar vor Augen führt), beschäftigt er sich mit einer „ehrgeizigen Vision für die Zukunft diverser Demokratien“ (S. 27). Seine Analyse, dass ein „Gruppendenken“ zwar viele Vorteile hat, aber auch für die bittersten Tragödien und Ungerechtigkeiten der Geschichte“ gesorgt hat (S. 282) gibt Anlass zum Nachdenken.

Um diverse Gesellschaften aufzubauen, sollten wir – so Mounk – „darauf hinweisen, dass die Mankos von heute nicht die Möglichkeiten von morgen festschreiben müssen. Mitglieder diverser Demokratien können durchaus engere Freundschaften und Beziehungen knüpfen. Nationen können Neuankömmlinge als gleichwertige Mitglieder integrieren. Menschen aus unterschiedlichen ethnischen und kulturellen Gruppen können gemeinsam ein sinnerfülltes Leben führen, ohne ihre jeweilige Identität aufgeben zu müssen. Und askriptive Identitäten wie die Hautfarbe können eine geringere Rolle spielen, als das jetzt der Fall ist – nicht, weil Menschen vor ihrer heutigen Bedeutung die Augen verschließen, sondern weil sie viele der Ungerechtigkeiten, die sie heute verursachen, überwunden haben werden. Wer es ernst meint mit der Schaffung diverser Demokratien, die Bestand haben oder gar gedeihen, muss eine positive und realistische Vision für das Gelingen des großen Experiments entwerfen“ (S. 26).

Genau das möchte Mounk in dem Buch tun. Auch, in dem er erklärt, warum eine solch ehrgeizige Zukunftsvision für diverse Demokratien realistisch ist, und gleichzeitig aufzeigt, wie Bürger und Politiker dazu beitragen können, sie zu verwirklichen.

Kann es eine Demokratie ohne Diversität eigentlich geben oder ist der Begriff der „diversen Demokratie“ vielleicht sogar ein Pleonasmus, weil Demokratie eben eine diverse Gesellschaft voraussetzt? Letztlich zeigen die aktuellen Entwicklungen in Deutschland, dass unsere Demokratie durch die aktuelle Diskussion um eine diverse(re) Zusammensetzung der Gesellschaft, die nicht verhindert werden kann und die mittel- bis langfristig auch für das Überleben Deutschlands notwendig ist, extrem herausgefordert wird. Eine Abschaffung der Diversität, wie es Trump derzeit in den USA anzielt, wird aber, so glaube und hoffe ich, in Deutschland nicht möglich sein – und wenn, dann nur unter massiven Einschränkungen der (dann verbliebenen) Restbevölkerung „Biodeutscher“. „Eines nicht allzu fernen Tages werden die ehemals Unterdrückten zu den neuen Mächtigen werden“ (S. 281). Dessen sollten wir uns bewusst sein und nicht darauf vertrauen, dass die dann an der Macht befindlichen sich anders als wir es derzeit oftmals tun, großmütig zeigen.

Der Weg zum Erfolg für das große Experiment ist steinig. Aber ein Misserfolg wäre fatal. „Machen wir uns auf den Weg“ (S. 289).

Thomas Feltes, März 2025

 

[1] Den Begriff „Experiment“ hatte Mounk in einem Gespräch mit den Tagesthemen verwendet und sah sich danach einem Shitstorm ausgesetzt (S.  7 f.). Die rechtsextreme Plattform „Tichys Einblick“ hatte behauptet, Angela Merkel und Yascha Mounk führten ein „Experiment“ mit dem deutschen Volk durch – eine Verschwörung gegen „die Deutschen“.