Arne Semsrott, Machtübernahme. Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Rezensiert von Thomas Feltes

Arne Semsrott, Machtübernahme. Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Eine Anleitung zum Widerstand. Droemer-Verlag München 2024, 240 Seiten, ISBN 978-3-426-65984-7, 22.- Euro (gebunden) 18,99 (e-book).

Unsere Demokratie ist in Gefahr. Wie sich diese Gefahr schon jetzt und möglicherweise in nicht ferner Zukunft dramatischer auswirken kann, zeigt dieses Buch. Es zeigt auch, was wir dagegen tun können. Beim Lesen des Buches kann man manchmal zwischen Realität und Fiktion nicht unterscheiden. Das ist Absicht, denn manches, was wir uns noch vor Kurzem nicht vorstellen konnten, ist bereits eingetreten. Bei uns und vor allem in den USA.

Es sind beunruhigende Zeiten. Vor wenigen Jahren waren Rechtsextremisten im Parteienspektrum noch weitgehend isoliert. Heute gewinnen antidemokratische Positionen in der Breite der Gesellschaft stetig an Zustimmung. Die AfD erzielt bei den Wahlen Spitzenergebnisse und wurde zuletzt bei den Bundestagswahlen im kompletten Osten Deutschlands stärkste Partei. Die WELT titelte: „Die schwarz-blaue Republik“ und zeigt grafisch die große Umwälzung Deutschlands.

Es ist also höchste Zeit, sich mit der realen Gefahr einer autoritären Machtübernahme auseinanderzusetzen. Das Buch von Semsrott ist dabei eine gute Ergänzung zu dem eher analytisch-theoretisch angelegten Buch von Yascha Mounk, „Das grosse Experiment“, das ich hier besprochen habe.

Arne Semsrott (vom Verlag als „Politik-Aktivist“ bezeichnet, wohl auch, weil er das recherche- und Transparenzportal „Frag den Staat“ leitet) zeigt, was passiert, wenn Rechtsextremisten an die Macht kommen. Und er liefert konkrete Strategien dafür, wie wir unsere demokratische Gesellschaft verteidigen können.

Der Ausgangspunkt des Buches: Rechtsextremisten stehen kurz davor, Verantwortung in der Regierung zu übernehmen, wobei sie dies auf regionaler Ebene bereits getan haben. Nach Auffassung des Autors sollten wir uns also darauf vorbereiten, mit allen demokratischen Mitteln Widerstand zu leisten.  Dazu legt Arne Semsrott die Sollbruchstellen (und damit Schwachstellen) der rechtsstaatlichen Institutionen offen. „Die Zeit des Handelns ist jetzt“ lautet seine Schlussfolgerung.

Der Rechtsextremismus bedroht die Demokratie (nicht nur) in Deutschland unmittelbar und diese Bedrohung ist für viele Menschen auch spür- und greifbar (s. das Stichwort „Diversität“ im Buch von Mounk). Arne Semsrott zeigt, dass die Institutionen angreifbar und Bürokratie und Verwaltung fragiler denn je sind. Dabei bilden Schulen, Finanzämter, Ministerien, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Polizei das demokratische Fundament unserer Gesellschaft. Was geschieht, wenn sie entweder in die Hände der Rechten fallen (im Fall von Kommunen schon geschehen) oder abgeschafft werden (wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk)? Die Frage, die der Autor sich und uns stellt lautet: „Und wie lassen sich Verfassung und Gewaltenteilung verteidigen, wenn Rechte beginnen, den Staat umzubauen, um ihre Macht langfristig zu festigen?“

Es geht in dem Buch also erst einmal darum, wie Rechtsextreme vorgehen oder vorgehen könnten, wenn sie in Regierungsverantwortung kommen, und welche Auswirkungen dies hätte. Die Idee hat Parallelen zu dem, was der Verfassungsblog getan hat:  Autoren zeigen dort auf, was passiert, wenn autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen. Sie haben verschiedene Szenarien entwickelt und die Ergebnisse und Informationen zum „Thüringen-Projekt“ auf einer Website zusammengefasst.

Zurück zum Buch von Semsrott: Er zeigt konkret auf, welche Mittel Gewerkschaften, Beamte, Justiz, Medien, Unternehmen und die Zivilgesellschaft nutzen können, um einer rechten Machtübernahme zu begegnen und diskutiert unter anderem Generalstreiks, Streikpartnerschaften und politische Streiks, Möglichkeiten, um rechte Richter in der Justiz transparenter zu machen, sowie ein AfD-Verbot. Er zeigt die Vorteile eines Demokratiefördergesetzes ebenso auf wie das Remonstrationsrecht, das besagt, dass Beamte rechtswidrigen Befehlen nicht nachkommen dürfen. Er geht darauf ein, was eine Änderung des Wahlrechts bewirken könnte, was das Leaken von Informationen und Whistleblowing bewirken kann (zum Whistlblowing in der Polizei s. die Aktuelle Studie von Hunold für die Gesellschaft für Freiheitsrechte) und wie ein „Sondervermögen Demokratie“ oder sogar ein „solidarisches Prepping“ aussehen können.

Das sind durchaus sehr unterschiedliche Möglichkeiten, das Buch ist daher durchaus heterogen und folgt keiner bestimmten roten Linie, was es manchmal etwas schwierig macht, dem Autor zu folgen.  Er sagt selbst, dass nicht alle Möglichkeiten von allen genutzt werden können und wollen, wie man am Beispiel der USA aktuell sieht, wo sich der Protest gegen die Machtübernahme durch Trump und die Abschaffung der Demokratie dort sehr in Grenzen hält, weil viele Menschen Angst haben, Opfer von rechtsextremer Gewalt zu werden.

Eigentlich kommt dieses Buch zu spät“, räumt Semsrott ein (S. 16), weil die Gefahren von rechts schon längst bekannt seien. Aber so einfach ist es nicht. Gefahr erkannt bedeutet alles andere als Gefahr gebannt. Die Deutschen fürchten sich zwar zu Tode, aber nicht, weil sie eine Machtübernahme aus der rechten Ecke befürchten, sondern weil sie sich zunehmend aus anderen Gründen unsicher fühlen (ausführlich dazu mein Beitrag aus dem Jahr 2019 zu den Ängsten der Deutschen hier).

Dieses Buch soll bewirken, dass wir selbst anfangen zu handeln, uns vorzubereiten und zu planen“ (aaO.). Ob ein Buch dies zu leisten imstande ist? Man mag es bezweifeln, wenn man den Prinzipien der selektiven Wahrnehmung und der kognitiven Dissonanz berücksichtigt.

Aber die „Anleitung zum Widerstand“ von Semsrott ist ein Baustein, auf dem sich Widerstand aufbauen kann. Es ist viel, sehr viel mehr erforderlich, und das weiß auch der Autor. Aber er leistet seinen Beitrag, mit diesem Buch und mit der Plattform „Frag den Staat“ und den dortigen Aktivitäten. Was fehlt sind genügend „follower“, um im social-media-Jargon zu formulieren. Kann dieses Buch solche „follower“ generieren? Es ist zu hoffen und zu wünschen. Die durchgängig leicht verständliche Sprache hilft möglicherweise dabei.

Letztlich aber muss man das Buch lesen. Also: Tut es! Und dann bitte das Motto von Adolf Kolping beherzigen: „Schön reden tut´s nicht, die Tat ziert den Mann“ (oder die Frau, oder diverse (sic!) andere…).

Thomas Feltes, März 2025