Mark Schieritz, Zu dumm für die Demokratie? Wie wir die liberale Ordnung schützen, wenn der Wille des Volkes gefährlich wird. München, Droemer TB, 2025, ISBN: 978-3-426-56463-9, 160 S., 14.- Euro, e-Book 11,99 Euro.
Ein Titel, der unterstellt, dass die Deutschen zu dumm sind für Demokratie? Eine pauschale Beleidigung des „deutschen Volkes“? Mitnichten. In dem Buch will uns der Autor deutlich machen, dass unsere Demokratie tatsächlich gefährdet ist, wenn nicht nur Politiker, sondern auch wir Wähler Verantwortung übernehmen. „Denn eine liberale Demokratie ist auf Haltung angewiesen – sonst wird sie zur Fassade“.
Die Krise der Demokratie wird oft mit einer Krise der Politik gleichgesetzt: Menschen wählen angeblich populistische oder extremistische Kräfte, weil die gemäßigten Parteien nicht auf ihre Sorgen und Ängste eingehen. Aber hat das Wahlvolk wirklich immer recht? Und wie können wir unsere Demokratie schützen, wenn sich ein Teil der Bevölkerung von ihr abwendet? Der ZEIT-Journalist Mark Schieritz beschäftigt sich in seinem tatsächlich teilweise sehr pointierten Buch mit der Frage, was wir tun müssen, wenn der Wille des Volkes gefährlich wird. Solange aber gilt: „Mehrheit ist Wahrheit“ (S. 13), solange hecheln Politiker dem (angeblichen, gemutmaßten, vermutlichen, medial transportierten) Willen „des Volkes“ hinterher.
Wenn, wie es im Grundgesetzt steht, alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, dann gilt „Mehrheit ist Wahrheit“? Nicht unbedingt, aber dann, wenn Politiker dies so wahrnehmen. Ein Grundproblem ist daher, so Schieritz, dass der Begriff der Demokratie nicht hinreichend definiert ist. In Gefahr sei nicht in erster Linie „die“ Demokratie, sondern die „liberale“ Demokratie (S. 15).
Fakt ist, dass die Demokratie auf dem Rückzug ist. Fast 40% der globalen Bevölkerung werden derzeit autoritär regiert, und weltweit gibt es nur noch 24 vollständige Demokratien (darunter Deutschland) und 50 unvollständige (darunter die USA) (S. 25).
Anschaulich und am Beispiel der USA (Projekt 2025) und Thüringen (AfD) (S. 33 ff.) macht der Autor deutlich, dass der Rückgang demokratischer Strukturen keine Entwicklung ist, die „einfach so“ passiert, sondern die gezielt von bestimmten Politikern angestrebt wird.
Dabei macht Schieritz auch deutlich, dass es für Bürger wichtig ist, „was hinten herauskommt“ (S. 57), d.h. Legitimation (des demokratischen Staates) kann auch dadurch erzeugt werden, dass der Wohlstand steigt oder sich die Sicherheitslage verbessert – und umgekehrt, so meine ich, kann die Legitimation untergraben werden, wenn dies nicht der Fall ist, oder, was schon ausreicht, wenn behauptet wird, dass beides nicht der Fall ist – wie zuerst von der AfD uns inzwischen beim letzten Wahlkampf implizit und teilweise auch explizit von CDU und SPD. Empirische Studien zeigen, dass diese „Output-Dimension“ in vielen Ländern von großer Bedeutung für das Ansehen der Demokratie ist. „Mit anderen Worten: Demokratien müssen liefern, sonst verlieren sie ihre Legitimität“ (S. 58).
Dass dies aber nicht genügen kann, zeigt das Beispiel der USA, wo trotz wirtschaftlichem Aufschwung unter Biden die Wahl von Trump gewonnen wurde. Warum? Die Erklärung des Autors: Die Welt wird von multiplen Verwerfungen heimgesucht, die sich gegenseitig verstärken. „Die weltweite Krise der liberalen Demokratie hat möglicherweise etwas mit der Überforderung der Politik durch die Vielzahl der Krisen zu tun, mit denen sie konfrontiert ist“ (S. 63). Oder vielleicht auch damit, dass Politiker den Bürgern vorgaukeln, alle Probleme lösen zu können? Vielleicht wäre etwas mehr Ehrlichkeit und ein Eingestehen der beschränkten politischen Mittel in einer globalen Welt sinnvoll und notwendig – oder hat man davor Angst?
Das gilt vor allem in einem Zeitalter, in dem Kriege wieder zum Alltag werden. Die Einsicht, dass im Krieg das Zeitalter des Überflusses (das wir seit 1945 hatten) abgelöst wird vom Zeitalter der Knappheit (S. 65), ist schwer zu vermitteln, weil sie implizit auch die Beschränktheit der Politik deutlich macht, auf weltweite, aber auch auf nationale Probleme (Rentenlücke vs. Migrationsbekämpfung) so zu reagieren, dass am Ende tatsächlich etwas herauskommt.
Ein ganzes Kapitel des Buches beschäftigt sich mit den Kosten des Populismus (S. 71 ff.), und dies ist sicherlich eines der spannendsten Teile des Buches. Populisten richten in aller Regel nämlich erheblichen Schaden an, wie man aktuell am Beispiel von Trump sehr gut beobachten kann.
Tatsächlich kann man den Titel des Buches und auch seinen Inhalt missverstehen – wenn man dies will. So schreibt bspw. ein Rezensent auf Amazon:
„Ich bin auch tatsächlich nicht sicher, dass ich nicht doch auf irgendeine kabarettistische Einlage hereingefallen bin. Wenn das so ist, möge man mir das bitte mitteilen, denn dieses ist ein unfassbares Werk von Mark @schieritz, dem stellvertretenden Ressortleiter Politik, aus dem linken Käseblatt „Zeit“ und ruft zu nicht weniger als der Abschaffung der Demokratie auf, wenn das Wahlergebnis dem linken Fundamentalisten nicht gefällt. Es trägt weder zu einer konstruktiven Debatte über politische Bildung noch zur Stärkung demokratischer Prozesse bei. Vielmehr verbreitet es gefährliche Ideen, die in einer pluralistischen Gesellschaft keinen Platz haben sollten. Die Argumentation widerspricht fundamental dem demokratischen Grundgedanken, der auf Meinungsvielfalt und politischer Teilhabe basiert. Die Argumentation wirkt total überheblich, da sie mir als Bürger (er nennt mich <wildes Tier>) die Fähigkeit abspricht, eigenständig politische Entscheidungen zu treffen. … Aber für Schieritz (und damit wohl auch seinem linksgerichteten Arbeitgeber im Gewand einer neutralen Infomationsquelle) ist die Desinformation akzeptabel oder sogar lobenswert, solange sie den Zielen des Autors dient. Dieses ist zutiefst problematisch und wirft für mich schwerwiegende ethische Fragen auf. Eine solche Haltung untergräbt die Grundprinzipien einer offenen, demokratischen Gesellschaft, die auf Transparenz, Wahrheit und Meinungsfreiheit basiert. Sie rechtfertigt Manipulation im Namen der linken politischen Agenda und stellt damit die moralische Integrität derjenigen infrage, die sich für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzen. Aber vielleicht ist das Buch ja doch Satire – ansonsten kann ich mir nicht erklären, dass deutsche Journalisten zur Abschaffung der Demokratie aufrufen. Wenigstens machen Sie das jetzt öffentlich, dann wissen ja jetzt woran wir sind wenn wir die „Zeit“ aufschlagen.“
Wenn Steffen Mau den Begriff der „politischen Wegelagerei“ für Politiker geprägt hat, für die Chaos und Zerstörung ein Geschäftsmodell sind (S. 75), dann bleibt natürlich die Frage, wie man diesen Wegelagerern, auch denen in der Gesellschaft (wie dem Rezensenten oben) entgegnen kann. Damit, also mit der Frage, wie man die Demokratie retten kann, beschäftigt sich Schieritz dann am Ende des Buches (ab S. 94). Er beantwortet dann auch die Frage, ob wir zu dumm sind für die Demokratie (natürlich nicht…).
Aber was tun, wenn viele Menschen schlicht zu faul, zu borniert, zu sehr von sich selbst überzeugt sind, um politische Botschaften kritisch einzuordnen (S. 100)? Was tun, wenn „das Volk“ nicht in der Lage ist, über sich selbst zu herrschen? Tatsächlich sind die meisten Menschen nicht dumm, sondern sie interessieren sich nicht für Politik, so der Philosoph Brennan (S. 106 f.). Schieritz stellt dazu Brennans Typisierung des Volkes vor: Er unterteilt das Volk dabei in drei Idealtypen: Hobbits, Hooligans und Vulkanier. „Die Hobbits sind uninteressiert und meinungslos, sie wollen wie ihr literarisches Vorbild aus dem Roman Der Herr der Ringe einfach nur ihre Ruhe haben. Die Hooligans haben ebenfalls keine Ahnung, aber starke Meinungen; sie würden beim eingangs erwähnten Ball-Schläger-Test wahrscheinlich versagen. Informiert und an empirisch abgestützten Urteilen interessiert sind allein die Vulkanier, die ihren Namen der Figur »Mr. Spock« aus der Science-Fiction-Serie Star Trek verdanken. Laut Brennan sind die meisten Menschen Hobbits oder Hooligans, Vulkanier dagegen machen nur einen geringeren Anteil der Wahlbevölkerung aus. Während Habermas, um in der Terminologie zu bleiben – darauf setzte, dass der deliberative Prozess der politischen Willensbildung die Hobbits in Vulkanier verwandelt, glaubt Brennan in Anlehnung an Schumpeter, dass sie sich eher in Hooligans verwandeln. Denn in der Politik, zumal unter den medialen Bedingungen des 21. Jahrhunderts, zähle oft nicht die rationale Begründung, sondern der Wille zur Macht. Wenn Hooligans beratschlagen, würden sie deshalb nicht zu besseren, sondern zu schlechteren Menschen. Am Ende geht es wie im Fußball nur darum ob das eigene oder das gegnerische Team gewinnt“ (S. 108).
Eine der Forderungen, die Schieritz am Ende seines Buches vorstellt, ist tatsächlich mehr Ehrlichkeit der Politik. Die mangelnde Glaubwürdigkeit der Politik/er habe vielleicht mit der Zögerlichkeit zu tun, die die politische Kommunikation der etablierten Parteien in den westlichen Demokratien prägt. „Als Olaf Scholz nach dem Bruch der Ampelkoalition seine erneute Kanzlerkandidatur ankündigte, sprach er davon, den Wählern ein »Angebot« machen zu wollen. Stabile Renten, mehr Lohn, sichere Arbeitsplätze. Es ist eine Formulierung, die neuerdings viele Politiker verwenden: Man hört zu. Man will etwas lernen. Man macht ein Angebot in der Hoffnung, dass es dafür dann eine Nachfrage gibt. Wie im Supermarkt. Aber vielleicht ist es nicht sehr überzeugend, immer nur zuzuhören. Vielleicht gibt es eine Sehnsucht nach klaren Ansagen, auch wenn sie unbequem sind. Und vielleicht schätzen es die Wähler auch, wenn man sie auf Irrtümer aufmerksam macht, statt Konflikten immer aus dem Weg zu gehen oder sie erst zu benennen, wenn es zu spät beziehungsweise die Stimme abgegeben ist“ (S. 151).
Schieritz hat ein durchaus in Teilen provozierendes Buch (vor allem, wenn man es nicht gründlich liest, werter Amazon-Rezensent!) vorgelegt. Insgesamt betrachtet handelt es sich aber um ein Buch, dass wichtige Überlegungen dazu enthält, was wir jetzt tun müssen, um die Talfahrt unserer liberalen Demokratie zu verhindern. Jetzt, und nicht demnächst!
Thomas Feltes, April 2025