Rüthers/Fischer/Birk – Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre

323)
Rüthers, Bernd/Fischer, Christian/Birk, Axel; Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre; 8. Aufl. München 2015, 610 Seiten, 32,90 €,

Rechtstheorie

Das von Bernd Rüthers begründete und seit der 6. Auflage gemeinsam mit Christian Fischer und Axel Birk fortgeführte Buch zur Rechtstheorie will einen Zugang zu drei zentrale Fragen liefern: „Was ist Recht? Warum gilt Recht? Wie wird Recht angewendet?“ (Rn. 3). Die Autoren setzen sich umfassend mit den Grundstrukturen des Rechts auseinander, hinterfragen den juristischen Wissenschaftsbegriff, zeigen die Verbindungen von Rechtswissenschaft mit ihren Nachbardisziplinen auf und widmen sich schließlich der juristischen Methodenlehre. Das erste Kapitel zu den Grundfragen der Rechtstheorie stellt die Zielrichtung des Buches vor. Rechtstheorie soll danach einen „Beitrag zur Selbstbesinnung und zur Selbstkritik des Tuns von Juristen“ liefern (Rn. 47). Exemplarisch verdeutlichen die Autoren dies anhand des juristischen Wirkens während und nach gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Obwohl die Gesetzestexte während der NS-Zeit und (eingeschränkt) auch in der DDR nahezu unverändert bestehen blieben, haben Juristen stets „die vom jeweils herrschenden politischen System gewünschten Antworten hervorgezaubert“ (Rn. 37). Dies macht den Grundtenor deutlich, der dem gesamten Buch zugrunde liegt: Recht kann nicht losgelöst betrachtet werden von den herrschenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen und seinen Akteuren.

Das zweite Kapitel setzt sich mit dem Recht und seinen Funktionen auseinander. Hervorzuheben ist der Abschnitt über „Recht und Sprache“, der dem Leser die Bedeutung der Sprache für den beruflichen Umgang mit Recht vor Augen führt: „Die Grenze des Sprachvermögens ist zugleich eine nicht überschreitbare Grenze juristischer Qualifikation“ (Rn. 151). Das Sprach- und Textverständnis schafft also erst den Zugang zu juristischen Problemen und führt so zu den für sämtliche juristische Berufe so wichtigen Auslegungsfragen. Die Autoren stellen in diesem Zusammenhang die Grundlagen der allgemeinen Hermeneutik dar (Rn. 159 ff.) und weisen darauf hin, dass die Bedeutung von Sprache und damit von Recht stets vom jeweiligen Kontext abhängt: „Der Gesetzestext ist kein für sich bestehendes Objekt, das jedem Rechtsanwender zu jeder Zeit denselben Gebotsinhalt vermittelt. Gesetze sind Gebote, die unter veränderten Umständen auf neue Lesarten der Gerichte (…) angelegt sind“ (Rn. 159). Im zweiten Kapitel ist ferner der Abschnitt über Jura als Wissenschaft hervorzuheben. Die Autoren stellen den Streit über den Wissenschaftscharakter der „Jurisprudenz“ dar, die sie selbst als normative, empirische und analytische Wissenschaft einordnen (Rn. 331). Ausführlich werden Anspruch und Funktionen der Rechtsdogmatik dargestellt, die Recht ordnen und systematisieren, aber keine „wahren“ oder absolut „richtigen“ Lehrsätze hervorbringen kann (Rn. 315).

Im dritten Kapitel über die Geltung des Rechts gehen die Autoren unter anderem auf das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit ein. Anhand von Beispielen zeigen sie auf, dass Gerechtigkeit stets relativ ist, rechtliche Gestaltungsfragen somit viele (relativ richtige) Lösungen zulassen und Gesetze daher nicht eindeutig gerecht oder ungerecht sein können (Rn. 345). Dass Recht und Gerechtigkeit nicht notwendigerweise übereinstimmen, zeigen staatliche Unrechts- und Willkürakte, die im Einzelfall (gerechtfertigten) Ungehorsam auslösen können (Rn. 400). Daran anknüpfend werden im Abschnitt über den juristischen Positivismus die Verbindungen von Staatsmacht und Recht hergestellt. Die Autoren treten hierbei der Auffassung entgegen, der Gesetzespositivismus sei ursächlich für das Unrechtssystem des NS-Staates gewesen. Stattdessen hätten sich Gerichte „gerade im Gegenteil völlig von den Gesetzen gelöst“ und den „Führerwillen“ gegen geltende Gesetze verwirklicht (Rn. 483).

Das vierte und letzte Kapitel widmet sich der juristischen Methodenlehre. Angesichts des gegenüber Natur- oder Sozialwissenschaftlern eingeschränkten juristischen Methodenkatalogs weisen die Autoren erneut auf die Bedeutung der Sprache hin: „Juristen sind anwendende Sprachwissenschaftler“ (Rn. 703). Im diesem Kapitel wird zugleich die Handschrift Bernd Rüthers deutlich, der bereits an anderer Stelle den Wandel vom Rechtsstaat zum durch die Rechtsprechung geprägten „Richterstaat“ kritisiert hat.[1] So postulieren die Autoren auch hier: „Methodenfragen sind Verfassungsfragen“ (Rn. 713), sodass diejenige Auslegungsmethode zu befolgen sei, die „ein möglichst hohes Maß von richterlicher Gesetzesbindung verwirklicht“ (Rn. 712). Neben dieser grundlegenden Argumentation werden die verschiedenen Auslegungsmethoden und der Streit um eine „objektive“ und „subjektive“ Auslegung dargestellt. Die Autoren knüpfen hierbei an die Ergebnisse der vorherigen Ausführungen im Abschnitt „Recht und Sprache“ an, wonach es keine „Objektivität hermeneutisch gewonnener Aussagen“ geben könne (Rn. 807). Wichtig sei daher, den ursprünglichen Normzweck zu erfassen und bei der Gesetzesauslegung von der Wertung des Gesetzgebers auszugehen (Rn. 820).

Insgesamt bietet das Werk einen umfassenden Überblick über grundlegende Fragen der Rechtsordnung und Rechtsanwendung, indem sämtliche relevante Themengebiete der Rechtstheorie und Methodenlehre behandelt werden. Das Buch betont die Bedeutung der in der juristischen Ausbildung vernachlässigten Grundlagenfächer und zeigt auf, dass Rechtswissenschaft mehr ist als Rechtsdogmatik. Dies und die kritische Haltung der Autoren gegenüber dem geschriebenen Recht und der Rechtspraxis macht das Buch zu einer klaren Leseempfehlung für Studierende und Praktiker.

[1]    Vgl. Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, Tübingen 2014.

Rezensiert von: Andreas Ruch