Stephan Günzel – Raum. Eine kulturwissenschaftliche Einführung – Rezensiert von: Karsten Lauber

Günzel, Stephan (2017); Raum. Eine kulturwissenschaftliche Einführung; 156 Seiten, transcript Verlag, Bielefeld, ISBN 978-3-8376-3972-8 (Print), 14,99 €, ISBN 978-3-8394-3972-2 (pdf), 12,99 €

1.    Thema

Kaum ein Beitrag zur Raumforschung kommt derzeit ohne Hinweis auf den Spatial Turn aus. Die kulturwissenschaftliche Einführung von Stephan Günzel zielt darauf ab, einen systematischen Überblick über den Spatial Turn sowie verschiedene Raumtheorien vorzustellen.

2.    Autor

Der Autor ist Professor für Medientheorie an der Berliner University of Applied Sciences Europe und seit 2016 Leiter des Instituts für gestalterisches Forschen. Seine Lehrgebiete umfassen u.a. Game Design, Kunst- und Designgeschichte, Medientheorie und Philosophie. Etliche Publikationen und Herausgeberschaften zur Raumtheorie, z. B. die Sammelbände „Texte zur Theorie des Raums“ (Günzel 2013) im Reclam-Verlag und „Raumtheorie“ (Dünne/Günzel 2006) im Suhrkamp-Verlag, weisen auf eine langjährige Untersuchungstätigkeit hin.

3.    Aufbau

Das Inhaltsverzeichnis kann dem Katalog der Deutschen Nationalbibliothek entnommen werden.

4.    Inhalt

Das (längste) Kapitel 1 befasst sich mit drei Antinomien des Raumes und zwar dem Verschwinden von Raum, dem deterministischen vs. dem possibilistischen Raumverständnis sowie dem Gegensatz von Raum und Ort. Im Vordergrund des Beitrags zum Verschwinden von Raum stehen Arbeiten von Paul Virilio, David Harvey und Nigel Thrift. Die kulturwissenschaftlichen und technologischen Ansätze rücken den Beschleunigungsbegriff und das „individuelle Erleben“ (S. 33) von Raum in den Vordergrund (vgl. dazu auch Rosa 2005; Schivelbusch 2015). Die Antinomie Determinismus vs. Possibilismus beschreibt die „Wirkungsverhältnisse von Raum und Gesellschaft“ (S. 35), insbesondere unter Bezugnahme auf Friedrich Ratzel, Georg Simmel und Paul Vidal de la Blache. Aus kriminologischer Sicht sind an dieser Stelle die Ausführungen zum Klimadeterminismus (S. 38 f) bedeutsam. Dem dritten Widerspruch (Raum und Ort) nähert sich der Autor aus der zentralperspektivischen Beobachtung und im Anschluss daran über den „phänomenologischen ‚Turn‘“ Heideggers. Der Ort als „bestimmte, angebbare Stelle auf der Erde“ (S. 57) wird dann Ausgangspunkt für Ausführungen zu den Begriffen Heimat und Wohnen, die nicht nur zu einer bloßen Gegenüberstellung von Raum und Ort, sondern weitergehend auf die Kontroverse von Fremde und Heimat führt. Zwei Unterkapitel schließen die Ausführungen zu den drei Antinomien ab, die ihren Fokus nochmals auf Raum und Ort legen. Zunächst ein (zumindest aus sozialwissenschaftlicher Sicht) durchaus streitbarer Beitrag zur Containervorstellung und im Anschluss daran Konkretisierungen zu dem (je) von Husserl und Heidegger proklamierten „Turn“ (S. 69). Kapitel 2 widmet sich der Raumproduktion und führt die seit einigen Jahren verstärkte (Re-)Publikation von/über Henri Lefebvre fort (vgl. Lefebvre 2016, Belina 2017). In der Abgrenzung zu Lefebvres Konzept des Drittraumes stellt der Autor zudem Ortskonzepte wie die dritten Orte nach Ray Oldenburg, die Nicht-Orte von Marc Augé sowie etwas exponierter die Heterotopien von Michel Foucault[1] vor. Treffend kritisiert Günzel die inflationäre Verwendung[2] des Heterotopie-Konzeptes (S. 102). Im letzten Kapitel 3 befasst sich der Autor mit verschiedenen räumlichen Turns, namentlich dem Spatial Turn, dem Topographical Turn und dem Topological Turn sowie mit methodischen Konsequenzen für die Raumforschung.

5.    Fazit

Mit seinem 158-seitigen Buch legt Stephan Günzel eine kurze und verdichtete Einführung vor, die es Lesern ohne fundiertem Vorverständnis oder ausgeprägtem Forschungsinteresse nicht immer leicht macht, den roten Faden zu behalten. Wie die Umschlagbeschreibung treffend ankündigt, soll der Band einen Überblick gewähren. Dieses Versprechen löst der Autor durchaus ein. Sozialwissenschaftlich Interessierte werden in der kulturwissenschaftlichen Einführung möglicherweise nicht in dem gewünschten Umfang fündig werden. Dennoch fungiert der Band als guter Stichwortgeber für weitergehende eigene Analysen der vielfältig aufgezeigten Raumtheorien. Viele der von Günzel herangezogenen Werke lassen sich (auszugsweise) in seinen Sammelbänden nachlesen, die als Begleitlektüre empfohlen werden (vgl. Günzel 2013; Dünne/Günzel 2015). Losgelöst davon ist auch weiterhin auf die ansprechende Gestaltung und Herstellungsqualität der Bücher aus dem transcript-Verlag hinzuweisen.

 

 

Verwendete Literatur

Augé, M. Nicht-Orte, 4. Auflage, München, 2014
Belina, B. Raum. Zu den Grundlagen eines historisch-geographischen Materialismus, 2. Auflage, Münster, 2017

 

Dünne, J.; Günzel, S. (Hrsg.) Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, 8. Auflage, Frankfurt am Main, 2015
Foucault, M. Die Heterotopien, in: Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge, 2. Auflage, Berlin, 2014
Foucault, M. Von anderen Räumen, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, 8. Auflage, Frankfurt am Main, 2015, S. 317 – 329
Günzel, S. (Hrsg.) Texte zur Theorie des Raums, Stuttgart, 2013
Lefebvre, H. Das Recht auf Stadt, Hamburg, 2016
Rosa, H. Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main, 2005.
Schivelbusch, W. Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 2015

[1] Günzel nimmt dabei Bezug auf die sechs Grundsätze, die Foucault in dem Aufsatz „Von anderen Räumen“ beschreibt (vgl. Foucault 2015). In einem früheren Beitrag nennt Foucault zunächst noch fünf Grundsätze (vgl. Foucault 2014, 18).

[2] Dies gilt umso mehr für die Nicht-Orte in Anlehnung an Augé (vgl. Augé 2014).

Rezensiert von: Karsten Lauber