Mark Fahnert: Lied des Zorns. Rezensiert von Thomas Feltes

Mark Fahnert: Lied des Zorns. Piper, München, 12,99 Euro, E-Book 9.99 Euro, 432 Seiten, ISBN 978-3-492-06211-4

Wenn ein Verlag offensiv damit wirbt, dass der Autor Polizeibeamter ist und „mehrere Jahre … verdeckt als szenekundiger Beamter (ermittelte), bevor er bei der Autobahnpolizei im rasanten Einsatz seinen Dienst versah“ (Klappentext), dann wird man nicht nur als Kriminologe und Polizeiwissenschaftler stutzig. Auch als gestandener „Krimi-Leser“ ist man erst einmal skeptisch, wenn sich jemand, der das Handwerk des Schreibens nicht erlernt hat, diesem Genre zuwendet – zumal an wirklich guten Kriminalromanen eigentlich kein Mangel herrscht[1].

Da hilft dann auch nicht die Relativierung des Verlags, dass er sich heute mit „politisch und religiös motivierten Delikten“ befasst. Ob auch die Aussage, dass Fahnert durch „seine lange und vielseitige Polizeilaufbahn … mit den Mechanismen der deutschen Sicherheitsbehörden bestens vertraut (ist)“ von ihm selbst autorisiert wurde, weiß man nicht. Journalisten und Medienverantwortliche denken bei den von ihnen zu verantwortenden Texten oftmals mehr an die Vermarktung, als an die Wahrheit, und auch Risiken und Nebenwirkungen werden hier oftmals nicht gesehen – als schönes Beispiel sei aus meiner eigenen Erfahrung die Überschrift der FAZ zu meinem Beitrag über das Buch von Thilo Sarrazin, Feindliche Übernahme, genannt: Ob die „Kriminologie aus dem Hobbykeller“[2] von mir oder dem als Kriminologe doch eher unbekannten Sarrazin betrieben wird, wurde dem Leser überlassen.

Hilfreich ist da schon eher das Interview mit dem Autor, das auf der Website des Verlages abgedruckt ist[3]. Dort antwortet Fahnert z.B. auf die Frage, was die größte Herausforderung beim Schreiben war: „Die Waage zwischen den Erfordernissen an einen spannenden Roman und der Realität zu halten. Polizeiermittlungen sind nie so, wie sie in den Romanen dargestellt werden. Alles dauert recht lang, man muss viel warten und Geduld aufbringen. Aber das ist etwas, was in der Fiktion nicht abgebildet werden kann, wenn man nicht will, dass die LeserInnen das Buch nach kurzer Zeit zuklappen“.

Und zu seinen Recherchen für das Buch sagt er: „Wenn ich etwas Spezielles wissen will, dann suche ich im Internet eine Organisation heraus, wo man es vielleicht wissen könnte. Dann schreibe ich eine höfliche E-Mail und stelle meine Fragen. Meist bekomme ich eine Antwort. Sonst besorge ich mir Sachbücher über das Thema, blättere in Magazinen, lese Zeitung, surfe viel im Internet, spreche mit Menschen und stelle viele Fragen“.

Ob Verfassungsschutz und Geheimdienste seine Emails wohl beantwortet haben? Wohl eher nicht. Denn die im Buch beschriebene Mischung aus real denkbaren und eher fiktiven Abläufen würde den „Diensten“ nicht gefallen. Aber gerade hier liegt der Reiz dieses Buches: Es nimmt den Leser mit auf eine Reise, die ihn zu immer wieder wechselnden Orten in Europa und dem Nahen Osten führt. Dieses Spannungselement des „Zerhacken“ eines Ereignisses kennzeichnet inzwischen viele Bücher, wird aber manchmal auch überreizt, wenn Abläufe, die sich innerhalb weniger Stunden ereignen, an verschiedensten Stellen eines Buches scheibchenweise wiedergegeben werden und so der Handlungsstrang unterbrochen wird. Bei Fahnert ist dies aber erträglich, man gerät nicht zu sehr aus dem komplexen Gesamtzusammenhang und kann noch folgen, wer wann was und warum macht.

Und darum geht es in dem Roman: Die ehemalige Elitesoldatin Wiebke Meinert erfährt vom Mord an ihrer Schwester, die bei einer Autoexplosion stirbt. Sie war „Geheimagentin“ (offiziell beim Entwicklungshilfeministerium angestellt – ob diese „Legende“ von Fahnert wirklich erfunden ist?) und einer gefährlichen Verschwörung auf der Spur. Das Buch kreist immer wieder um die Frage, was sie herausgefunden hatte und wer hinter ihr her war. Von einem Kontakt beim Verfassungsschutz erfährt sie, dass es eine akute Terrorwarnung gibt. Um den Anschlag zu verhindern, muss sie zurück in ihr altes Leben. Stoppt sie die Täter, findet sie (und das ist das Bindeglied im Buch) garantiert Hinweise auf die Mörder ihrer Schwester. Wiebke wurde (so der Verlag) „ausgebildet, um zu töten. Sie hat keine Angst vor ihren Gegnern. Und sie mag es nicht, wenn man ihr Vorschriften macht.“

Während letzteres durchaus einen zumindest gewissen Realitätsbezug haben dürfte, wenn es um Mitglieder von „Diensten“ oder auch der Polizei geht, so ist ersteres doch eher James-Bond-Romanen und ähnlichem entnommen. Und tatsächlich erinnert so einiges an die (frühen) James-Bond-Filme, was aber kein Nachteil sein muss, und auch keine Kritik. Im Gegenteil.

Und hier und da sind dann auch noch kriminologisch-kritische Passagen eingestreut, wie auf S. 66 f., als der Autor über seine Protagonistin Wiebke schreibt: „Sie sah die beiden Jungs, die gerade noch Schach gespielt hatten. Kluge Köpfe an der falschen Stelle. Ohne Chance auf irgendwas. Außer auf eine kriminelle Karriere. Jemand hatte mal zu ihr gesagt, dass in Deutschland jeder die gleichen Möglichkeiten hätte. Daran glaubte sie schon lange nicht mehr“ … Und hinterher wird die Gesellschaft über die Verbrecher schimpfen und dabei verdrängen, dass sie diese selbst geschaffen hat“.

Insgesamt ein spannendes Buch, das auch sprachlich überzeugt und (nicht unwichtig) in einer Schriftgröße gedruckt ist, die das Lesen erleichtert.

Glückwunsch also an den im Sauerland (wirklich oder Legende?) lebenden Autor.

 

Thomas Feltes, April 2020

[1] Einige davon werden immer wieder hier im Buch-Bog des PNL besprochen, zuletzt hier https://polizei-newsletter.de/wordpress/?p=1401

[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/sarrazins-buch-feindliche-uebernahme-schuert-vorurteile-15763511.html

[3] https://www.piper.de/buecher/lied-des-zorns-isbn-978-3-492-06211-4